Wirtschaftsliberalismus vom Fließband
RUBRIKEN. Unternehmensnahe Denkfabriken breiten sich in Österreich aus.
SPOTLIGHT | Text: Pinguin
Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise hat die neoliberale Wirtschaftswissenschaft ein massives Imageproblem. Gegen heftige interne Widerstände ist im englischsprachigen Raum auch innerhalb der Universitäten eine Debatte um die Rolle von ÖkonomInnen beim Deregulieren der Finanzmärkte, beim Schönreden von bedenklichen Entwicklungen und beim Abgeben interessengeleiteter Empfehlungen ausgebrochen. KritikerInnen fordern von den lautesten Wirtschaftsliberalen die Offenlegung von Beraterverträgen mit Privatunternehmen.
Doch akademische ÖkonomInnen sind vielleicht gar nicht das Hauptproblem. An den österreichischen Unis wird zu Wirtschaftspolitik weitgehend geschwiegen. In Ländern wie den USA kommt seit den 1990er Jahren Expertise immer öfter aus „Thinktanks“. Sie finanzieren sich aus jährlich hunderten Millionen Dollar an Privatspenden, und die Mehrheit unter ihnen ist konservativ bis wirtschaftsliberal. In Österreich waren außeruniversitäre ExpertInnenratschläge lange Zeit auf Kammern bzw. Sozialpartner sowie die großen Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS beschränkt.
Die neoliberale „Durchregieren“-Offensive, die sich Schwarz-Blau vorgenommen hatte, begegnete Kritik mit dem Versuch, das Meinungsspektrum auch in ExpertInnenzirkeln nach rechts zu verschieben. Mit Karl-Heinz Grassers Unterstützung wurde das Hayek-Institut gepusht, das seither regelmäßig bei TV-Diskussionen eine Plattform erhält. Das Phänomen wirtschaftsliberaler Thinktanks hatte auch Österreich erreicht.
Die jüngste Wirtschaftskrise, die der Verteilungsdebatte neue Nahrung gab, sorgte nun für einen neuen Schub. Mit „Eco Austria“ schuf die Industriellenvereinigung – die zuvor dem Wifo wegen unzureichender Widerspiegelung von Industriepositionen die Subventionen gekürzt hatte – ein eigenes Institut. Anfang 2013 folgte „Agenda Austria“, das sich aus Spenden von Unternehmen und Vermögenden finanziert. Im Windschatten haben sich noch kleinere Initiativen wie „Weis(s)e Wirtschaft“ und „Pro Marktwirtschaft“ etabliert.
Einrichtungen wie „Agenda Austria“ tun sich nicht vorwiegend durch Forschung hervor. Ihr Geschäft besteht im argumentativen Unterfüttern von politischen Positionen. In einer Zeit, da die Frage „Wer zahlt für die Krise?“ virulent ist, werden gute Argumente gegen Vermögenssteuern und Sozialausgaben knapp. Hier sind Leute gefragt, die sich nicht scheuen, zu polemisieren, zu vereinfachen und Argumente zuzuspitzen.
Solche „Experten“ sind aber nicht die „wahren Machthaber“, wie so manche übertriebene Einschätzung über Thinktanks, etwa über das berüchtigte Mont Pelerin Institut, nahelegt (das oft als Urheber des Neoliberalismus gilt). Erstens entstehen dort selten eigene Ideen, zweitens folgt deren Ideenauswahl weitgehend den Interessen ihrer Finanziers, und drittens ist ihre Macht in der Regel bescheiden.
Aber sie liefern Argumente, mit denen Umverteilungsforderungen abgeblockt werden können – zum Beispiel, wenn „Agenda Austria“ exzessive Steuerlast statt Ungleichheit als Grund für unzureichende Einkommen behauptet, obwohl diese Steuern staatliche Ausgaben finanzieren, mit denen die Ungleichheit der Lohneinkommen gemildert wird. Oder sie brechen Diskussionen vom Zaun, um von anderen abzulenken – etwa wenn „Agenda Austria“ wie im November 2013 die Existenz bisher unbekannter Budgetlöchern im Staatshaushalt behauptet oder etwa das umlagenfinanzierte Pensionssystem für de facto bankrott erklärt, Medien das aufgreifen und InteressensvertreterInnen mit Sparvorschlägen nachlegen. Thinktanks sind vielfach Stichwortgeber, Gewährsmänner und Unterstützer in Debatteninszenierungen von interessierter Seite. So lassen sich subtile Verschiebungen des repräsentierten Meinungsspektrums inszenieren, wenn in öffentlichen Diskussionsrunden neben deklarierten InteressenvertreterInnen ExponentInnen von Thinktanks sitzen, die ins selbe Horn stoßen und so der liberalen Meinung mehr Gewicht verleihen.
Der Pinguin ist eine Kolumnistenleihgabe der Zeitschrift MALMOE. www.malmoe. org