Das geht an den Kern der Souveränität
DOSSIER. Polen oder Slowaken werden nicht als europäische Staatsbürger angesehen, sondern als Ausländer, sagt Manfred Nowak. Der Leiter des Boltzmann-Instituts für Menschenrechte über fehlende europäische Identität und die Schwächen nationaler Asylpolitik.
Interview: Eva Bachinger, Fotos: Anna Beskova
Wie bewerten Sie die Bestellung von Sebastian Kurz zum Außenminister? Hat er sich als Integrationsstaatssekretär bewährt?
Ich denke, er hat als Integrationssekretär gute Figur gemacht. Er hat zwar nichts Weltbewegendes bewirkt, aber doch interessante Akzente gesetzt. Jemand wie er könnte generell offener sein gegenüber neuen Ideen in der Außen- und Migrationspolitik. In seinen ersten Interviews hat er Interesse an einer Verbesserung der österreichischen Entwicklungspolitik und an einer Intensivierung unserer Menschenrechtspolitik gezeigt. Das sind positive Zeichen.
Sie plädierten nach der Tragödie vor Lampedusa für eine Änderung der Asyl- und Migrationspolitik der EU. Woran denken Sie?
An ein Umdenken in Bezug auf die Souveränität der europäischen Staaten. Wenn wir einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geschaffen haben und die EU 16 gemeinsame Außengrenzen festgelegt hat, dann ist es auch notwendig, von der nationalen Souveränität abzurücken. Dann hat auch kein Minister mehr ein Vetorecht. Das heißt: Wir brauchen eine geregelte Migration und ein menschlicheres Asylsystem. Wie es in der Grundcharta der EU steht, müssen jene, die Schutz vor Verfolgung in Europa suchen, auch die Möglichkeit haben, das auf legale Weise zu tun. Dass Flüchtlinge in die Hände von Menschenschmugglern und kriminellen Organisationen getrieben werden, ist eine Verletzung dieses Grundrechts. Flüchtlinge müssen sich in Lebensgefahr begeben, um in Europa einen Asylantrag zu stellen.
Woran denken Sie konkret?
Eine gemeinsame Asylpolitik heißt: gemeinsame Gesetzgebung und gemeinsame Asylbehörde. Damit kann es in den EU-Botschaften im Ausland die Möglichkeit geben, um Asyl anzusuchen. Man kann auch ein kurzfristiges Visum vergeben, um eine legale Einreise zu ermöglichen. Ich bin zudem für eine völlige Aufhebung der Dublin-Verordnungen. Asylwerber sollen das Land aussuchen können, in dem sie Asyl beantragen. Das heißt auch, dass wir neue Regeln für die Arbeitsmigration brauchen. Solange die Kompetenzen bei den Nationalstaaten bleiben, herrscht aber das Florianiprinzip. Das bedeutet immer eine Verschlechterung, weil jeder Staat bei Liberalisierungen Angst hat, dass dann alle dorthin gehen.
Warum gibt es so viel Widerstand in den einzelnen Staaten, obwohl man sich bereits in den Verträgen von Amsterdam und Lissabon geeinigt hat?
Wir haben eine große Europaskepsis, zum Teil durch Parteien forciert, die eine sehr xenophobe Ausländerpolitik betreiben. Schon die Frage, wer sich in Österreich niederlassen darf, ist für viele eine Frage der nationalen Identität. Das geht an den Kern der Souveränität. Kompetenzen in der Handelspolitik abzugeben, ist im Zeichen der Globalisierung keine Frage der nationalen Souveränität mehr. Wer aber unsere schönen Berge, Wiesen und Wälder bevölkert, das ist eine stark emotional besetzte Frage. Wir wollen dieses schöne Land nur zu einem beschränkten Teil mit Nicht-Österreichern teilen. Das zeigt sich bereits bei der innereuropäischen Migration. Es gibt zwar keine Binnengrenzen mehr, aber die Fremdenfeindlichkeit bezieht sich auch auf Polen oder Slowaken. Sie werden nicht als europäische Staatsbürger, sondern als Ausländer angesehen. Wir haben nach wie vor keine europäische Identität. Die Zuwanderung untergräbt für viele die österreichische, ethnische und sprachliche Identität. Das darf man nicht unterschätzen. Der Aufbau der Vereinigten Staaten Europas ist zum Stillstand gekommen. Sie verwaltet Bestehendes.
Sie fordern die Abschaffung der DublinVerordnung – lässt sich das auch menschenrechtlich argumentieren?
Nein. Zu sagen, diese Verordnung ist menschenrechtswidrig, wäre überspannt. Aber die Grundidee des Rechts auf Asyl ist dennoch eine andere. Auch in der Geschichte war es wichtig, dass Menschen fliehen und in einem bestimmten Land ein neues Leben aufbauen konnten. Denken Sie an die Juden und andere vom Nazi-Regime Verfolgte. Viele sind damals in die USA gegangen, weil sie dort Verwandte hatten, Bruno Kreisky emigrierte nach Schweden, weil er dort Kontakte hatte. Wenn jemand in Österreich einen Bruder hat, der Arbeit hat, der ihn aufnehmen kann, dadurch die Sprache leichter lernt, dann soll das möglich sein. Derzeit überprüft Österreich nur mit der europäischen Fingerabdruckkarte EURODAC, wo Flüchtlinge zuerst europäischen Boden betreten haben, und schickt sie dorthin zurück – auch wenn sie dort niemanden kennen und sich sprachlich nicht verständigen können. Insofern gehen wir schon auf eine sehr unmenschliche Art mit diesem Schutzbedürfnis um. Die Staaten haben aber immer noch eine Verpflichtung, dass alle Menschen auf ihrem Territorium um Asyl ansuchen können. Es ist ja nach wie vor nicht die EU Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern Österreich.
In Malta gibt es seit 2011 das European Asylum Support Office (EASO), das die gemeinsame Asylpolitik begleiten soll. Was darf man von solchen EU-Institutionen erwarten?
Die EU-Kommission als Hüterin der Verträge versucht die gemeinsam beschlossene Politik umzusetzen, indem sie Vorschläge vorlegt und Agenturen wie das EASO einsetzt. Sie drängt auf eine Vereinheitlichung der Politik, so wie auch das Parlament. Der Rat der Regierungschefs steht hingegen auf der Bremse. Das European Asylum Support Office hat die Aufgabe, die Länder dabei zu beraten, ein besseres Asylsystem und eine bessere Grundversorgung zu erreichen, vor allem in Staaten wie Griechenland, wo das ganz schlecht funktioniert. So ein Büro kann aber nur Hilfe anbieten, aber nationale Asylverfahren auf keinen Fall ersetzen. Da gibt es große Qualitätsunterschiede. Es kann ja nicht sein, dass Iraker und Tschetschenen in verschiedenen Staaten derart unterschiedliche Anerkennungsquoten haben.
Der Salzburger Rechtsanwalt Gerald Mory hat das österreichische Asylsystem unlängst als völlig willkürlich bezeichnet. Teilen Sie diesen Befund?
Das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte hat in den letzten Jahren zwei Studien dazu erstellt. Die erste war eine Qualitätsanalyse der Verfahren und der Entscheidungen des Bundesasylamtes in erster Instanz. Gemeinsam haben wir schwerwiegende Mängel festgestellt. Das Innenministerium hat daraufhin – angesichts der offensichtlichen Schwächen des Systems – die vorher zugesagte Veröffentlichung der Studie zurückgenommen. Die zweite Studie haben wir gemeinsam mit dem UNHCR erstellt, das war eine Qualitätsanalyse der Entscheidungen des Asylgerichtshofs. Auch hier traten große Schwächen zutage. Die Bescheide der ersten und der zweiten Instanz des Asylgerichtshofs lassen zu wünschen übrig. Es werden Textbausteine verwendet, die nicht passen. Man stützt sich auf eine eigene Länderdokumentation, die nicht immer am aktuellen Stand ist. Die Qualität unseres Asylsystems ist verbesserungswürdig, das ist keine Frage.
Problematisch ist auch der Einsatz von privaten Sicherheitskräften im neuen Schubhaftzentrum Vordernberg. Steht dieser Einsatz fest?
Das Innenressort überlegt nicht ernsthaft, den Vertrag aufzukündigen, was aber sinnvoll wäre. Meiner Meinung nach ist es verfassungswidrig. Ein privater Sicherheitsdienst kann nicht in der gleichen Weise kontrolliert werden wie die Exekutive. Mein Hauptkritikpunkt ist, dass der Staat seine Kernaufgaben nicht privatisieren darf. Die Kantine kann man auslagern, aber nicht das Management von Gefängnissen, die Sicherheit sowie den Schutz der Menschenrechte. Das ist ein Paradigmenwechsel, wenn Vordernberg so in Betrieb geht. Dann können auch andere Gefängnisse privatisiert werden.