Der Versuchsballon
DOSSIER. Keinen verfassungsrechtlichen Verstoß sieht die Volksanwaltschaft in den Verträgen zwischen dem Innenministerium, der Gemeinde Vordernberg und der Sicherheitsfirma G4S. Private Securities dürfen in Österreich fortan an Flüchtlingen Geld verdienen.
Text: Stefan Kraft
Das Zauberwort lautet: Arbeitsplätze. Die offizielle Broschüre des Innenministeriums mit dem Titel „Die 10 wichtigsten Fragen & Antworten zum Thema Schubhaftzentrum“ spart nicht damit: „Mit der Einrichtung eines Schubhaftzentrums sind zirka 200 neue Arbeitsplätze in der Region verbunden. Im Gegensatz zu anderen Arbeitsplätzen sind diese Arbeitsplätze langfristig abgesichert. Ein Schubhaftzentrum ist daher für eine Region mit wenig Arbeitsplätzen und Wirtschaftsentwicklung ein massiver, dauerhafter Gewinn.“ Das neue Gefängnis im steirischen Vordernberg, das am 20. Jänner nach einigen Diskussionen eröffnet wurde, ist ein Ort voller Arbeitsplätze. Ein Ort, an dem Menschen in Haft genommen werden, bevor man sie zwingt, in ihr Heimatland zurückzukehren.
Wie den 46-jährigen Angolaner Jimmy Mubenga, den private Securities im Flieger von England nach Angola im Oktober 2010 derartig brutal an seinem Sitz festbanden und niederdrückten, dass er noch vor dem Abflug erstickte. Das britische Innenministerium kündigte daraufhin den Vertrag mit der Firma G4S. Nun lässt das österreichische Innenministerium G4S in Vordernberg an die Flüchtlinge ran.
Ein patriotischer Dienst könnte man meinen, schließlich liegen die Ursprünge eines der größten Sicherheitsunternehmen der Welt unter anderem in der „Wiener Wach- und Schließgesellschaft“, die 1993 zur „Group 4“ wurde und durch mehrere Fusionierungen nun als „G4S“ firmiert. Geschäftsführer der österreichischen Dependance ist Matthias Wechner, einst Vize-Kabinettschef unter Ex-Innenminister Günther Platter. Laut der Grünen-Politikerin Alev Korun sei die Ausschreibung für Vordernberg so abgefasst gewesen, dass nur G4S als Anbieter in Frage gekommen sei.
Diese Fakten sind bekannt, seit AktivistInnen, Medien und PolitikerInnen gegen den ersten Einsatz eines privaten Sicherheitsdienstes in einem österreichischen Gefängnis intervenierten, seit zumindest Teile des Vertragswerks aufgedeckt wurden, zwischen Innenministerium und Gemeinde einerseits und zwischen Gemeinde und dem Österreich-Ableger der G4S andererseits. 68 Millionen Euro soll der Vertrag mit dem Sicherheitsdienst schwer sein, 100 von dessen privaten Sicherheitsleuten werden in Vordernberg patrouillieren. Der Verdacht von Freunderlwirtschaft steht im Raum, vor allem aber erleben wir die Privatisierung vormals staatlicher Verfügungsgewalt.
Rechtliche Konsequenzen
Denn darum geht es im Kern der Angelegenheit: Die Privatwirtschaft profitiert von der wachsenden Sicherheitsindustrie ebenso wie von der voranschreitenden Regulierung des öffentlichen Raums. Doch ist vorläufig keineswegs gesetzlich geregelt, was im Falle des Falles passiert, sollte es zu Verstößen gegen die Menschenrechte in der Schubhaft etwa durch MitarbeiterInnen der G4S kommen. Offiziell werden sie als „Verwaltungshelfer“ eingesetzt, ob man wirklich Sicherheitsleute für die Essensversorgung engagiert hat, bleibt offen.
Beim Punkt möglicher Menschenrechtsverletzungen setzt auch die Kritik von Rechtsanwalt Georg Bürstmayr an, der sich intensiv mit den Problemen von AsylwerberInnen in Österreich auseinandersetzt. Rechtlich gesehen hält er zwei Konsequenzen dieser neuen Praxis für möglich. Falls die Mitglieder der privaten Sicherheitsdienste jener Behörde zugerechnet werden, für die sie tätig sind, dann hätten die Häftlinge die Möglichkeit, vor das Landesverwaltungsgericht zu ziehen. Das Kostenrisiko des Verfahrens wäre in diesem Fall gering und, vor allem: „Die Beweislast wäre umgekehrt.“ Der Staat müsste beweisen, dass die behaupteten Verfehlungen nicht passiert wären.
Doch, so Bürstmayr, „dazu bräuchte es ein Gesetz“ – eines, das die privaten „Helfer“ rechtlich an die Behörde bindet. Andernfalls bliebe den eingesperrten Flüchtlingen nur die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Klage. Dann wären sie es, die den WärterInnen schuldhaftes Verhalten nachzuweisen hätten. Der Schutz ihrer Menschenwürde wäre ein geringer.
Schulter an Schulter
Aus dem Innenministerium hat Anwalt Bürstmayr bislang keine eindeutigen Aussagen vernommen, nur mehrdeutige. Er stellt sich darauf ein, dass ein erstes mögliches Verfahren viele Jahre in Anspruch nehmen würde. Dann ist das Anhaltezentrum mit seinen vielen privaten Arbeitsplätzen bereits Teil der österreichischen Realität geworden, in der sich mit Einsperren und Abschieben nun auch Geld verdienen lässt. Bürstmayr glaubt: „Vordernberg ist ein Versuchsballon.“ Das Schubhaftzentrum werde zeigen, ob der internationale Trend nun auch in Österreich Einzug halten kann.
In den Vorreiterstaaten hat die Gefängnisindustrie schon enorme Ausmaße angenommen. In den USA befinden sich bereits 45 (nach anderen Berechnungen 30) Prozent aller inhaftierten ImmigrantInnen in der vollen Verfügungsgewalt privater Sicherheitsunternehmen. In den Jahren 2002 bis 2010 stiegen die Insassenzahlen in den Gefängnissen für unerwünschte AusländerInnen um 206 Prozent (nach anderen Berechnungen um 322 Prozent). Allein im Grenzstaat Texas werden über 10.000 EinwanderInnen von Konzernen wie der „GEO Group“ oder der „Corrections Corporation of America“ festgehalten, mit den bekannten Folgen wie inadäquater medizinischer Versorgung und an die Öffentlichkeit gelangten Fällen von Misshandlung der InsassInnen und Todesfällen in den privaten Anhaltezentren.
Nirgendwo anders als in den USA kann man auch genau mitverfolgen, wie die Profiteure der verschärften Einwanderungsgesetze an diesen direkt mitwirken. Millionen Dollar werden von den Lobbyisten der großen Gefängnisfirmen eingesetzt – nicht nur, um an Aufträge zu gelangen oder etwa eine Erhöhung der Insassenzahl zu erreichen, sondern auch um verschärfte Bestimmungen für die Einwanderung durch den Kongress zu peitschen.
Diese Tendenz ist, vorläufig noch in gemilderter Form, auch nach Europa übergeschwappt, wo in Ländern wie Großbritannien – anders als in Österreich – keine Verfassungsgesetze gegen die Privatisierung von Schubgefängnissen bestehen. Die in der Schweiz ansässige Forschungsinitiative „Global Detention Project“ untersuchte vor wenigen Jahren bereits privatisierte Anhaltelager für MigrantInnen und deckte auf, dass sich dieses Phänomen längst nicht mehr nur auf englischsprachige Länder konzentriert. Die AutorInnen machen in ihrer Arbeit keinen Unterschied zwischen einer Vollprivatisierung des Strafvollzugs und den Gefängnissen in jenen Ländern, in denen Securities gemeinsam mit den VertreterInnen des Staates Flüchtlinge in Haft halten. Auch die Grüne Abgeordnete Alev Korun hielt in ihrem offenen Brief an den Vordernberger Bürgermeister fest, dass „hoheitliche Aufgaben“ der JustizwachebeamtInnen und PolizistInnen sowie der im Vertragstext mit G4S festgehaltene Punkt „Betreuungsmanagement/Sicherheitsdienst“ im Schubhaftalltag nicht zu trennen sind. Ähnlich beurteilt das auch Rechtsanwalt Bürstmayr: „In Vordernberg versehen Beamte mit den G4S-Securities Schulter an Schulter ihren Dienst. Es ist doch klar, dass bei der gemeinsamen Arbeit einer für den anderen einspringt.“
Wesentlich an der genannten Untersuchung des „Global Detention Project“ sind weniger die Fallbeispiele aus einzelnen Ländern wie etwa Deutschland, wo bereits mehrere halbprivate Schubhaftzentren à la Vordernberg bestehen (etwa am Düsseldorfer Flughafen) und Sicherheitsfirmen immer stärker in den Asylmarkt drängen. Interessant ist vor allem die Debatte, warum Staaten die Folgen ihrer Flüchtlingspolitik an Private auslagern. Nicht überall liegt die Antwort so einfach auf der Hand wie in den USA, wo Profitinteressen der Gefängnisindustrie und der von ihnen gekauften PolitikerInnen eine erschreckende Dynamik in Gang gesetzt haben. Schon wird in Anlehnung an den „militärisch-industriellen Komplex“ vom „gefängnisindustriellen Komplex“ und mittlerweile vom „immigrationsindustriellen Komplex“ gesprochen. Weltweit agierende Sicherheitsunternehmen wie G4S drängen darauf, die Gefängnisse zu „liberalisieren“. Dass private Dienstleister billiger einsperren, ist indes nicht gesichert. Nach Berechnungen verschiedener NGOs könnten die Kosten von etwa 165 Dollar pro Tag und inhaftierten ImmigrantInnen durch humane und billigere Methoden deutlich gedrückt werden. In Frankreich, Italien aber auch Österreich wird die Betreuung der InsassInnen in Schubhaftzentren und Flüchtlingslagern zum Teil an Non-Profit-Organisationen übertragen, in Italien etwa an das Rote Kreuz. Dabei dürfte es auch um Überlegungen gehen, politische Verantwortung für die ImmigrantInnen anderen umzuhängen, etwa spendenfinanzierten Organisationen. Zog sich etwa die Firma European Homecare aus Flüchtlingslagern des Bundes wie Traiskirchen wegen rückläufiger Einnahmen zurück (hier sprang die ebenfalls private Firma ORS in die Bresche), so werden wichtige Einrichtungen in den Lagern, etwa psychosoziale Zentren, an NGOs ausgelagert.
Blickt man auf das Beispiel anderer Staaten, gibt es aber auch noch ein bedeutsameres gesellschaftspolitisches Motiv: Die Privatisierung von Schubhaftanstalten diente auch als Türöffner für die spätere Privatisierung von Gefängnissen. Selbst in Deutschland, wo Artikel 33 des Grundgesetzes hoheitliche Aufgaben des Staates nur seinen Bediensteten vorbehält, war diese Entwicklung zu beobachten. Auch in Südafrika, Großbritannien und den USA wurden zuerst die Flüchtlinge, später dann gewöhnliche Häftlinge privaten Firmen überlassen. „Private Firmen in den USA waren darauf bedacht, anfangs Schubhaftzentren und andere Einrichtungen mit niedriger Sicherheitsstufe ‚im weniger sichtbaren Bereich des Strafsystems‘ zu etablieren, bevor man in die Hochsicherheitsgefängnisse expandierte“, heißt es dazu im Bericht des „Global Detention Project“. Ein Versuchsballon eben, der schwindelerregende Höhen erreicht hat. Und nun auch in der Steiermark aufgestiegen ist.