Spielend integrieren
DOSSIER. Um Jugendliche zu schützen, dürfen Fußballtalente erst mit 18 Jahren ins Ausland wechseln. Das unterbindet den Menschenhandel, beraubt elternlose Flüchtlinge aber einer großen Chance.
Text: Peter K. Wagner
Im Fußball sind die USA keine Weltmacht. Auch wenn sie aufgrund der leichteren Gegner in ihren Qualifikationsrunden öfter bei Weltmeisterschaften vertreten sind als Österreich, sind Fußballstars in den Vereinigten Staaten selten. Wenn dann plötzlich ein Amerikaner bei Real Madrid, einem der größten und renommiertesten Klubs der Welt, unterschreibt, überschlägt sich die Presse in Superlativen. Im August vergangenen Jahres war das passiert. Joshua Pynadath, der bereits 2012 den Scouts der Madrilenen aufgefallen war, hatte bei einem Probetraining überzeugt und sich schließlich gegen das Angebot des FC Barcelona und für deren Rivalen aus der spanischen Hauptstadt entschieden. Aber nicht nur für die Amerikaner war der Wechsel eine Nachricht wert, selbst in Europa lief die Meldung über alle Kanäle. Nicht, weil die USA dank Pynadath nun auch auf dem Weg zur Fußball-Weltmacht war, sondern vielmehr aufgrund seiner Jugend: Der talentierte Bursche war noch ein Kind, als er den Vertrag in Europa unterschrieb. Er war 11 Jahre alt.
Kritik an FIFA
Warum ein Fußballverein wie Real Madrid Kinder überhaupt verpflichtet, wurde nur wenige Wochen später auch dem größten Laien durch eine weitere Zahl vor Augen geführt: 100 Millionen Euro. So viel Ablösesumme soll der Waliser Gareth Bale, einer der Besten seiner Zunft, Real Madrid gekostet haben, um ihn von seinem bisherigen Verein Tottenham Hotspur aus dem Osten Londons in die spanische Hauptstadt zu lotsen. Da für Jugendspieler unter zwölf Jahren gar keine und bis zur Unterzeichnung ihrer ersten Profi-Verträge nur geringe so genannte Ausbildungsentschädigungen anfallen, holen die Topklubs des internationalen Fußballs immer früher talentierte Kicker in ihre Jugendakademien. Ein Beispiel aus Österreich: 150.000 Euro Ausbildungsentschädigung soll Austria Wien von Bayern München für den 16-Jährigen David Alaba erhalten haben. Heute ist er laut der Plattform transfermarkt.at 32 Millionen wert.
Wo viel Geld zu verdienen ist, ist auch die Ausbeutung von Menschen nicht weit. Denn je mehr Talente die Fußballvereine in ihren Akademien scharen können, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, einen Gareth Bale oder David Alaba auszubilden. Der Fußball-Weltverband FIFA war gefordert, dieser Gefahr vorzubeugen. „Wir haben die FIFA damals stark kritisiert“, sagt Kurt Wachter von der Wiener Organisation Fairplay. „Vor allem mit Jugendlichen unter 18 wurde Menschenhandel betrieben.“ Speziell aus Afrika wurde unzählige Spieler nach Europa transferiert – schon in jungen Jahren. Wem die Profikarriere versagt blieb, dem drohte die Straße. Vor etwas mehr als zehn Jahren trat daher für internationale Transfers eine neue Bestimmung in Kraft: Ab sofort durften Spieler unter 18 nur noch dann ins Ausland transferiert werden, wenn der Wechsel innerhalb der EU oder des EWR stattfand, der Spieler höchstens 50 Kilometer von seiner Landesgrenze entfernt aktiv sein wollte oder seine Eltern ebenfalls in die neue Heimat zogen. „Wir haben diese Regelung sehr begrüßt, doch bald wurde klar, dass der Passus für eine Gruppe von Jugendlichen zum Problem wird: Für unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge. Sie waren plötzlich auf Hobbyfußball angewiesen“, erklärt Wachter.
Es dauerte einige Jahre, bis sich die FIFA dem Problem annahm – auch auf Initiative des Österreichischen Fußballbunds (ÖFB). „Wir konnten diesen Bestimmungen nur Folge leisten und den Betroffenen keinen Spielerpass ausstellen“, sagt Dr. Thomas Hollerer, Leiter der Abteilung Recht und Administration des ÖFB. „Hätten wir das Regelwerk ignoriert, wären wir von der FIFA sanktioniert worden. Sogar der Ausschluss von der WM-Qualifikation wäre möglich gewesen.“ Der ÖFB und andere mitteleuropäische Verbände stellten einen Antrag für eine Ausnahmeregelung. Mit Erfolg. Seit eineinhalb Jahren können Verbände für unbegleitete minderjährige Asylsuchende ein Genehmigungsverfahren einleiten. „Das Verfahren ist noch immer kompliziert“, gibt Hollerer zu. Wer in seinem Asylland spielen will, muss neben Dokumenten, die größtenteils nicht vorhanden sind, auch Informationen bereitstellen, die zum Teil nicht bekannt sind – Aufenthaltsort der Eltern etwa – oder medizinische Atteste vorweisen. Ob man sich das Verfahren auch sparen könnte oder es vereinfacht werden könnte, kann und will Hollerer nicht kommentieren. Doch die, die es könnten, wollen nicht. Die Rechtsabteilung sei für solche Auskünfte „zu beschäftigt“, lässt die Pressestelle der FIFA ausrichten.
Weitere Erfolge
Man wird das Gefühl nicht los, dass solche Entscheidungen in Apparaten wie der FIFA einfach längerer Vorarbeitszeit bedürfen. Immerhin gibt es schon einen weiteren Teilerfolg zu vermelden: „Wir haben mittlerweile erwirkt, dass wir nicht – wie eigentlich notwendig – immer im Ursprungsland anfragen müssen, ob der Spieler zuvor schon in seinem Heimat-Fußballverband gemeldet war. Das ist sehr positiv, immerhin wüsste der Geheimdienst bei politischen Flüchtlingen sonst den Aufenthaltsort des Asylsuchenden“, freut sich Thomas Hollerer, der außerdem betont: „Wir sind einfach froh, dass auch unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge die Chance bekommen, sich über den Fußball schneller und leichter zu integrieren.“
Integration, die in Einrichtungen wie der Diakonie Mödling ein Gesicht bekommt. Mustafa Nadeem (Name von der Redaktion geändert) ist einer der unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlinge, die dort betreut werden. Der 17-Jährige stammt aus Afghanistan und kam vor zweieinhalb Jahren nach Österreich. „Der Fußball hat mir sehr geholfen, Freunde zu finden und die Sprache zu lernen“, erzählt er in einwandfreiem Deutsch. „Schon in meiner Heimat habe ich es geliebt, zu spielen, war aber nie bei einem Verein. Hier glaubt man aber an mich. Mein Trainer sagt, ich habe viel Talent und ich spiele auch bereits für die Kampfmannschaft.“ Wenn Mustafa volljährig ist, wird er Geld verdienen bei seinem Klub. Nicht so viel wie Gareth Bale. Aber bei Real Madrid möchte er ja sowieso nicht spielen. „Mein Onkel hat immer vom FC Liverpool gesprochen als ich klein war. Als ich nach Österreich gekommen bin, hab ich sie im Fernsehen spielen gesehen. Jetzt ist das mein absoluter Lieblingsklub.“