Welche Verantwortung trägt Europa?
DOSSIER. Ein Rundruf unter österreichischen EU-SpitzenpolitikerInnen.
Redaktion: Magdalena Summereder
Das Thema Flucht ist nicht erst seit der Katastrophe vor Lampedusa in aller Munde. Jedes Jahr sterben mehr als 1.000 Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen. Und auch wer das schafft, ist oft mit unwürdigen Bedingungen und fehlenden Perspektiven konfrontiert. Wer trägt Verantwortung für das Schicksal von Flüchtlingen? Wie sehen ExponentInnen der politischen Parteien das Flüchtlingsthema? Was sprechen sie an, was verschweigen sie? Welche Ängste schüren sie? Wo verlaufen Grenzen in ihren Köpfen? Haben sie klare Antworten oder reden sie um den heißen Brei? MO hat im Vorfeld der Ende Mai stattfindenden EU-Wahlen die EU-Abgeordneten bzw. EU-SprecherInnen um Stellungnahmen gebeten. Von NEOS und dem Linken Wahlbündnis kam bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme.
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Hannes Swoboda
Europaabgeordneter der SPÖ
„Solidarische Flüchtlingspolitik gefordert“
Lampedusa und Syrien haben die Mängel europäischer Flüchtlingspolitik offenbart. Trotz der Betroffenheit quer durch Europa konnte man sich aber nicht durchringen, Änderungen vorzunehmen. Dabei wäre es an der Zeit, eine solidarische Flüchtlingspolitik voranzutreiben, die wir im Europäischen Parlament seit Längerem fordern. Bislang gilt die Dublin-2-Verordnung als sakrosankt, die Mitgliedsstaaten sind nicht zu Änderungen bereit. Man will, dass auch weiterhin jenes Land für die Flüchtlinge zuständig bleibt, in dem die Menschen erstmals EU-Territorium betreten haben. Unberücksichtigt bleiben die Zustände in Flüchtlingslagern in Griechenland oder Italien. Wir müssen durch EU-Finanzmittel aber auch den Herkunftsländern und den Transitländern der Flüchtlinge helfen. Verbrecherbanden, die Flüchtlinge nach Europa bringen und für ihre illegalen Aktivitäten bezahlt werden, müssen vehement verfolgt und vor Gericht gestellt werden. Gesetze, die Bürger kriminalisieren, wenn sie Flüchtlingen helfen, müssen geändert werden.
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Andreas Mölzer
Europaabgeordneter der FPÖ
„Hunderte Millionen wollen auswandern“
Flüchtlingsdramen wie vor Lampedusa dürfen kein Vorwand für eine Aufweichung der Asyl- und Zuwanderungspolitik sein. Auch eine Verzehnfachung von Quoten wird das Problem nicht lösen, nur den Migrationsdruck auf Europa steigern. Verschiedenen Untersuchungen zufolge wollen Hunderte Millionen Schwarzafrikaner nach Europa auswandern. Sinnvoll wäre, endlich die korrupten Regimes in Afrika in die Zange zu nehmen. Die Entwicklungshilfe ist auf eine ökonomisch und ökologisch vernünftige Basis zu stellen, die kleinräumig strukturierte Landwirtschaft zu fördern, und die Bevölkerung ist zu verpflichten, das jeweilige Heimatland in Afrika aufzubauen. Um ethnische Konflikte zu entschärfen, darf eine Änderung der oft willkürlich in der Kolonialzeit gezogenen Grenzen kein Tabu sein. Oft wird die Bevölkerungsexplosion in Afrika außer Acht gelassen. Ein Beispiel ist Niger: Lebten 1980 dort noch 5,6 Millionen Menschen, so sind es heute bereits 15,5, für 2050 werden über 50 Millionen Einwohner prognostiziert. Somit ist klar: Wenn der Migrationsdruck aus Afrika langfristig gemindert werden soll, ist bei der Geburtenkontrolle anzusetzen.
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Ulrike Lunacek
Europaabgeordnete der Grünen
„Flüchtlingstragödien müssen Wendepunkt sein“
Mit den Flüchtlingen im Meer sterben die europäischen Werte von Freiheit, Sicherheit und Recht. Das Europäische Parlament hat sich auf Initiative der Grünen wiederholt mit breiter Mehrheit für eine humanitäre wie solidarische europäische Flüchtlings- und Asylpolitik positioniert. Die EU-Staats- und RegierungschefInnen hingegen beklagen zwar die Tragödie, schieben das Thema aber auf die lange Bank. Wenn die europäischen Staats- und RegierungschefInnen inklusive Bundeskanzler Faymann diese Botschaft des EU-Parlaments nicht hören, haben sie als politische Führung Europas versagt. Die Mitgliedsstaaten und Frontex müssen die Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen endlich zu einer Kernaufgabe des europäischen Grenzschutzes machen. Und Fischer und Kapitäne, die Flüchtlinge retten, dürfen dafür nicht mehr bestraft werden – nicht in Italien und auch sonst nirgendwo. Zugleich brauchen die europäischen Mittelmeerstaaten mehr Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Und vor allem ist die EU gefordert, endlich legale Zugangsmöglichkeiten zu schaffen. Die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer müssen ein Wendepunkt für Europa sein.
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Othmar Karas
Europaabgeordneter der ÖVP
„Mitmenschlichkeit wichtigster Exportartikel der EU“
Europa ist längst ein Zuwanderungskontinent. Deshalb braucht Europa legale Instrumente zum Umgang mit verschiedenen Arten von Zuwanderung. Lampedusa hat die Dringlichkeit der Frage des Umgangs mit Flüchtlingen gezeigt. Wenn Menschen ihre Familien verlassen, weil sie keine Zukunft mehr sehen, und dabei sogar ihr Leben riskieren, dann handelt es sich um menschliche Tragödien. Deshalb reicht es sicher nicht, nur mit polizeilichen Maßnahmen zu reagieren. Das Asylrecht ist ein wichtiges Instrument. Wir können aber auch nicht zulassen, dass Menschen ohne Kontrolle in die EU einwandern. Mein christlich-soziales Weltbild sagt mir, dass wir uns aber auch nicht völlig verschließen dürfen. Da die EU Regelungen dazu nur einstimmig beschließen kann, waren alle Diskussionen bisher ergebnislos. Fest steht: Wir müssen es schaffen, Europa für bestimmte Fachleute und Hochqualifizierte so attraktiv zu machen, dass sie gern zu uns kommen. Wir brauchen eine völlig neue Willkommenskultur. Neben der Qualität der Arbeit und der in Europa erzeugten Produkte sollte die Mitmenschlichkeit der wichtigste „Exportartikel“ der EU sein.
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Rouven Ertlschweiger
EU-Sprecher von Team Stronach
„Gut bezahlter Bürojob wartet nicht“
Die Flüchtlingstragödien vor Lampedusa und auch in Syrien verstärken die Forderung an die EU, Verantwortung zu übernehmen. Seitens der EU wurde mehr Geld zur Verbesserung der Lage der Flüchtlinge zugesagt. Aber um wirklich nachhaltig zu helfen und die Menschen davor zu bewahren, auf der Flucht nach Europa ihr Leben riskieren zu müssen, ist die EU gefordert, mit der Hilfe direkt vor Ort zu beginnen. Ausschließlich durch die Stärkung von Frieden und Sicherheit in Krisenregionen und die Unterstützung zur Selbsthilfe kann der Flüchtlingsandrang nachhaltig verringert werden. Durch die Zusammenarbeit der EU mit den betroffenen Staaten in den Bereichen Aufklärung und Entwicklung muss der Anreiz für eine Flucht nach Europa genommen werden. Es gilt zu vermitteln, dass auf Flüchtlinge aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation in Europa kein gut bezahlter Bürojob wartet, sondern der Aufenthalt in einem Lager und meistens wieder die Abschiebung in ihr Heimatland. Die EU ist gefordert, sowohl die Mittel für humanitäre Maßnahmen zu erhöhen als auch verstärkt für Hilfe zur Selbsthilfe zu sorgen.