Signs of Safety
RUBRIKEN. Akademikerball: Was die Wiener Polizei von der Jugendwohlfahrt lernen kann.
SONDERECKE: Um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger
Weiträumiges Platzverbot, Untersagung einer friedlichen Kundgebung und Androhung von 500 Euro Geldstrafe für das Mitführen von Schals. Damit die rechten Recken am Akademikerball ungestört tanzen können, versetzte die Wiener Polizei die Innere Stadt in Ausnahmezustand. Ohne zu differenzieren und ohne spezifische Verdachtsmomente zu benennen, wurden Grundrechte weiträumig eingeschränkt. Auch die Lagergemeinschaft Ravensbrück durfte gegen den Aufmarsch der Burschenschafter kein „Zeichen setzen“: Die Reden am Heldenplatz wurden untersagt – obwohl von den Sicherheitsbehörden als „friedlich“ eingestuft. Die rigorosen Maßnahmen mögen aus polizeilicher Sicht Sinn ergeben, doch eskalierende Effekte liegen auf der Hand.
Die Polizei könnte sich an neuen Konzepten der Jugendwohlfahrt orientieren. Diese steht vor einem ähnlichen Problem: Das Jugendamt trägt Verantwortung für die Sicherheit Unmündiger und muss dabei weitreichende Entscheidungen treffen – schlimmstenfalls den Entzug des Sorgerechts beantragen. Dabei müssen sich die SozialarbeiterInnen letztlich auf Prognosen über künftige Gefahren stützen. Gehen sie zu rigoros vor, werden die Kinder unnötig destabilisiert. Handeln sie zu lasch, steht das Kindeswohl ebenfalls auf dem Spiel. Die Herausforderung für Polizei und Jugendwohlfahrt: angemessenes und differenziertes Vorgehen.
Das Konzept „Signs of Safety“ wurde in Australien entwickelt und zielt darauf ab, im Zwangskontext Kindesentzug in eine Kooperationsbeziehung mit den Beteiligten zu kommen. Die SozialarbeiterInnen sprechen ihre Sorgen möglichst spezifisch und evidenzbasiert an. Die Eltern bekommen Gelegenheit, ihrerseits konkret darauf zu reagieren und „Signs of Safety“ anzubieten. Fürchtet das Jugendamt Misshandlungen durch den Vater, kann der vorschlagen, nie mit dem Kind allein zu bleiben. Das reicht womöglich aus, um von Zwangsmaßnahmen abzusehen. Ergebnis: Die Behörden sind gezwungen, maßvoll zu agieren, und die Eltern kommen nicht so leicht in eine Opferrolle.
Im Landkreis Olmstead County, Minnesota, wurde die flächendeckende Anwendung von „Signs of Safety“ evaluiert. Die Zahl der fremduntergebrachten Kinder konnte von rund 300 auf 120 Kinder reduziert werden. Gleichzeitig sank die Rückfallquote von misshandelnden oder vernachlässigenden Eltern von 14 auf zwei Prozent.
Was die Wiener Polizei lernen kann: Je genauer und differenzierter sie prognostizierte Gefahren für die öffentliche Sicherheit belegt und je genauer und differenzierter sie Grundrechtseingriffe davon ableitet, desto maßvoller, nachvollziehbarer und deeskalierender werden ihre Vorkehrungen: Vielleicht gibt es ja einen guten Grund dafür, dass die Zeichen-Setzen-Kundgebung untersagt wurde, während eine FPÖ-Kundgebung 50 Meter weiter stattfinden durfte.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.