Mit Kinderpartisanen zur sozialen Gerechtigkeit. Olivera Stajic über die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Bildungsweg.
Man muss nicht schon im Vorschulalter perfekt Deutsch sprechen, um einen erfolgreichen Bildungsweg zu absolvieren.
„Grundbedingung für erfolgreiche Integration ist die Sprache. Daher trete ich für ein verpflichtendes zweites, ebenfalls kostenloses Kindergartenjahr ein.“ Dieses Zitat von Staatssekretär Sebastian Kurz geistert seit Wochen durch die Medien. Es findet BefürworterInnen in allen politischen Lagern. Ich muss entschieden wiedersprechen – mit einer sehr persönlichen Geschichte.
„Wo sind die Verwundeten?“ war mein erster Satz auf Deutsch. Gesprochen wurde er von einem deutschen Soldaten im Partisanenfilm „Mirko i Slavko“, den ich mit zehn Jahren erstmals gesehen habe. Eigentlich kein kindergerechter Stoff: Nazis erschießen alle Männer eines fiktiven jugoslawischen Dorfes, die Frauen werden ins KZ abtransportiert. Die Kinder aber haben sich versteckt und organisieren den Widerstand. Harter Tobak.
Als ich im Frühsommer 1992 in Wien landete, habe ich Mirko und Slavko nicht vergessen, ebenso wenig wie den Nazi-Satz. Doch beides nützt mir nun wenig. Von großem Nutzen ist mir aber der fundierte Muttersprachenunterricht, den ich in meiner bosnischen Dorf-Grundschule erhalten habe. Ich hatte das Glück, eine engagierte Serbokroatisch-Lehrerin zu haben, die uns die Grammatik-Begriffe auch in Latein eingebläut hat. Am Nachmittag war ich zusätzlich in der Neigungsgruppe „Liga der Junglinguisten“. Gelesen haben wir u.a. internationale Jugendbuchklassiker von Jules Verne oder Mark Twain.
Das war die „Unterlage“, auf die ich beim Deutschlernen zurückgreifen konnte. Im Nachhinein betrachtet nicht die Schlechteste. Ich behaupte sogar, ich hätte es nicht besser treffen können. Den Sommer 1992 verbrachte ich in einem Volkshochschul-Sprachkurs für Erwachsene. Im Sommer 1993 bereitete ich mich auf die Aufnahmeprüfung in ein Gymnasium vor und las die eben erwähnten Klassiker noch einmal auf Deutsch und Englisch. Der Rest ist (Bildungs-)Geschichte.
Meine Generation, also diejenigen, die im Zuge der Balkankriege nach Österreich kamen, wird gerne als großartig integriert gelobt und gegen die typischen Gastarbeiterkinder der zweiten Generation ausgespielt. Ja, teilweise liegt das auch daran, dass unter den Flüchtlingen nicht bloß ungelernte ArbeiterInnen waren. Die Gruppe war vielleicht durchmischter als jene der GastarbeiterInnen. Aber der „Erfolg“ der ehemaligen Flüchtlingskinder gründet auch in der „Unterlage“, die sie nach Österreich mitbrachten: Ihre Erfahrungen in einem sozial durchlässigen Bildungssystem, und gute Muttersprachenkenntnisse.
Es sind sozial durchmischte Schulen, die Chancengleichheit schaffen – und nicht das „Aussortieren“ vor Schuleintritt. Ein homogenes Angebot für Sechs- bis Vierzehnjährige, das gleichermaßen die Schwachen unterstützt und besonders Begabte fördert, muss her. Dafür braucht man mehr gut ausgebildetes und auf den multilingualen Schulalltag vorbereitetes Lehrpersonal, kleinere Klassen und damit den Willen für eine radikale Bildungsreform.
Olivera Stajic ist Redaktionsleiterin von daStandard.at.