Solange die Arbeit nicht ausgeht
Arbeitsfreud’ oder Arbeitsleid
Wir hassen sie bisweilen, aber ohne sie sind wir auch nicht froh: eine kleine Geschichte der Erwerbsarbeit. Essay: Robert Misik
Es gibt kaum etwas, was in unserem individuellen Leben, aber auch für das gesellschaftliche Leben eine derartige Bedeutung hat wie die Arbeit. Um nichts sind unsere Gesellschaften so herum organisiert wie über die Arbeit im Sinne von Erwerbsarbeit. Dass „Arbeit“ ja nur zum reinen Broterwerb da ist, Mittel zum Zweck, ist eine sehr falsche Vorstellung, die entweder dümmlich oder snobistisch ist. Welche herausragende Bedeutung die Arbeit für das Leben der Einzelnen wie auch für das Gemeinwesen, das sie miteinander bilden, besitzt, hat der Berliner Soziologe Wolfgang Engler so beschrieben: „Mit Arbeit gehen im Leben der Einzelnen sehr viele Aspekte einher, die leicht zu entfallen drohen, wenn die Arbeit weg fällt. Arbeit bettet noch immer Menschen, die im Berufsleben stehen, in ein ganzes Geflecht sozialer Bezüge ein. Natürlich erlaubt Arbeit dem- oder derjenigen, die über Arbeit verfügen, ein eigenes Leben zu führen, das materiell auskömmlich ist. Arbeit setzt zahlreiche Anreize, sich für etwas auch über die Arbeit Hinausgehendes zu interessieren, sich weiter zu bilden, vielleicht auch kulturelle Interessen zu entwickeln. All das wird fraglich, wenn das Zentrum all dessen – eben Arbeit – aus dem Leben emigriert oder bloß noch tröpfchenweise fließt, so dass Arbeit mal kommt, mal geht, eher Episode im Leben bildet, als dass sie das Leben von innen organisiert und zusammenfügt. Arbeit ist nicht zuletzt ein Garant sozialer Ordnung, wie immer man zur Ordnung stehen mag. Sie fügt das Leben nicht nur in soziale Bezüge ein, sondern sie gibt ihm auch ein grobes zeitliches Raster.“
Die Arbeit hoch?
Arbeit, Erwerbsarbeit, sie versorgt uns also mit Geld; sie bettet uns in soziale Beziehungen ein; sie strukturiert den Tag; sie stellt uns – im besten Fall – Aufgaben, an denen wir auch wachsen können. Die Arbeitsstelle, gern salopp „Stelle“ genannt, versorgt uns auch mit einem sozialen Status, im besten Falle mit Prestige und Anerkennung. Eine gute Stelle geht mit Achtung einher, die der oder die Einzelne erfährt, und eine schlechte Stelle – oder gar keine Stelle – zu haben, zieht flugs Missachtung und Respektlosigkeit nach sich. Unser Beruf, „was wir sind“, ist eine ganz wesentliche Quelle unserer Identität; bist Du in Rente, gehörst Du zum alten Eisen, und oft emigriert mit der Arbeit auch die Aufgabe und die Freude aus dem Leben; nicht zuletzt sind auch die sozialen Sicherungssysteme in modernen Wohlfahrtsstaaten über Erwerbsarbeit strukturiert, jede Budgetdebatte mit ihrem leidigen Streit über „Lohnnebenkosten“ und ähnliches beweist es. Wir könnten problemlos noch hunderte Zeilen füllen um die zentrale Bedeutung der Erwerbsarbeit in unserem Lebensvollzug zu veranschaulichen. Dennoch oder gerade deshalb ist Arbeit aber oft auch eine Quelle von Unbill. Kommt die Rede auf die Arbeit, ist die Rede vom Arbeitsleid nicht fern. Mal gibt es viel zu viel zu tun, so dass das Burn-out droht, mal ist sie monoton und repetitiv, so dass sie eine Qual ist. Oder wir fühlen uns nicht respektiert in unserer Arbeit, leiden unter dem niedrigen Status unserer Stelle, oder weil sie uns zu wenig Geld einbringt oder beidem: Die Tatsache, dass sie für zu kleines Geld verrichtet werden muss, wird gerade als pekuniärer Ausweis von Missachtung gewertet. Es nimmt so kein Wunder, dass in der Geschichte der Erwerbsarbeit mit der zunehmenden
Wenn die Arbeit ausgeht, hat das erst recht nichts Befreiendes.
Bedeutung der Arbeit auch die Hoffnung einherging, sie könne „unentfremdeter“ gestaltet werden oder die Maschinen könnten uns befreien vom all zu drückenden Joch repetitiver oder körperlicher Arbeit oder vom Arbeitsdruck.
Wird sie aber knapp die Arbeit, so steigt erst recht der umfassende Druck, der von der Arbeit ausgeht: Wer keine Arbeit hat, ist nicht befreit vom Arbeitsleid, sondern leidet umso schlimmer unter dem vielfachen Unbill, der vom Mangel der Arbeit ausgeht. Der oder die muss dann nicht nur mit wenig Geld auskommen, sondern sich mit der sozialen Deklassiertheit arrangieren. Und wer, wenn die gute Arbeit Mangelware wird, noch Arbeit hat, der sieht sich dem Stress ausgesetzt, sie zu behalten, um nicht mit in den Strudel des Abstiegskampfes gezogen zu werden. Hinter jeder Stelle winkt die Abstiegsangst. Wenn die Arbeit ausgeht, hat das erst recht nichts Befreiendes.
In ihren besten Zeiten war mit der Erwerbsarbeit und der „Stelle“ Sicherheit verbunden und vertragliche Absicherung: Einkommen, Kündigungsschutz, Rentenversicherung und so fort, ein ganzer Rattenschwanz an Sicherheiten, die von der ArbeiterInnenbewegung, von Gewerkschaften und progressiven PolitikerInnen ertrotzt und erkämpft wurden. Erwerbsarbeit hat sich Respekt erkämpft, wurde im Zuge dessen aber auch erhöht, vielleicht auch ein wenig überhöht. „Die Arbeit hoch“ wurde in den alten Liedern gesungen, und dass die Arbeit die Quelle allen Reichtums sei, dass der Mensch sich erst verwirklicht in der Arbeit wurde erst philosophisch, dann pathetisch überhöht. „Die alte protestantische Werkmoral feierte in säkularisierter Gestalt bei den deutschen Arbeitern ihre Auferstehung“, ätzte schon Walter Benjamin, indem man „die Arbeit als ‚die Quelle alles Reichtums und aller Kultur’“ definierte.
„Arbeit schändet“, haben daraufhin irgendwann die Spontis provokativ erwidert, und wir finden einen Nachhall dieser Arbeitskritik noch in den heutigen Debatten über ein „garantiertes Grundeinkommen“, besonders dann, wenn damit nicht nur eine Neuorganisation der sozialen Sicherungssysteme gemeint ist, sondern die Hoffnung einhergeht, die kulturelle Bedeutung der Arbeit, die Wichtigkeit des Berufs für unsere Identität könnte damit reduziert werden.
Voodoo-Ökonomie
Weil uns der diskursive Sound, der uns umgibt, nahelegt, dass alles in der Krise ist – wir sind ja von allumfassendem Krisenbewusstsein umwabert – sind wir gewiss, auch mit der „Krise der Arbeitsgesellschaft“ konfrontiert zu sein. Eigentlich sprechen wir erst von der Arbeitsgesellschaft, seit sie in der Krise ist. Wir sind ja schließlich in der Industriegesellschaft aufgewachsen und in der Konsumgesellschaft, aber jetzt leben wir in der „Krise der Arbeitsgesellschaft“.
Daran ist natürlich manches wahr und wir können genügend Indizien dafür anführen: Mit der wachsenden Individualisierung verlieren kollektive Vertragsformen, die die
Gewerkschaften stark machten – und damit wiederum in einer paradoxen Volte die individuellen Beschäftigten – an Bedeutung; jeder kämpft als Einzelner oder Einzelne ums kleine Glück. Von der Vollbeschäftigung sind wir seit den achtziger Jahren schon weit entfernt. Die Reallöhne stagnieren und im niedrigen Einkommensbereich gehen sie seit
Eine „gute Gesellschaft“ wird wohl auf absehbare Zeit nicht „jenseits der Erwerbsarbeit“ verwirklicht, sondern indem man Menschen in die Lage versetzt, ihre Talente zu entwickeln.
Jahren zurück. Prekarität nistete sich erst am Rande der Arbeitswelt ein und frisst sich in ihr Zentrum, von der Generation Praktikum bis zum Zeitarbeiter. „Ein ganzer Teil der Bevölkerung, vor allem junge Leute, erscheint für Aufgaben von kurzer Dauer, für einige Monate oder ein paar Wochen, relativ vermittelbar und noch viel leichter wieder kündbar. Der Ausdruck ‚ständiger Zeitarbeiter’ ist kein böses Wortspiel“, schreibt der französische Sozialforscher Robert Castel in seiner monumentalen Studie über die „Metamorphosen der sozialen Frage“, die nicht zufällig den Titel trägt: „Eine Chronik der Lohnarbeit“. Und fragt: „Wie soll man sich in solchen Situationen einrichten und in solchen Verlaufskurven einen Lebensentwurf verankern“, wenn man sich in einem solchen „dauerhaft transitorischen Zustand“ befindet?
Gewiss ist all das wahr, aber wenn man diese Erscheinungen überbetont, kann man auch ein paar Tatsachen leicht aus dem Blick verlieren. Nicht nur, dass die Arbeit nicht ausgeht, die Erwerbsarbeit ist nicht auf dem Rückzug. Jahr für Jahr, von den dramatischen Krisenjahren abgesehen, gibt es nicht nur Wirtschaftswachstum, sondern auch Jobwachstum. Immer mehr Menschen treten in den Kreis der Erwerbsarbeit, zuletzt etwa durch die Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit. Soll man ja nicht vergessen: Vor dreißig Jahren war Lohnarbeit Männersache, derweil hat sich die Frauenerwerbsquote der der Männer angenähert. Gerade der „Consumer Driven Capitalism“, also der von der „Konsumentennachfrage angetriebene Kapitalismus“ braucht Erwerbsarbeit nicht nur, um Güter und Dienstleistungen zu produzieren, er braucht vor allem auch die Einkommen, die mit Arbeit verbunden sind, um zu prosperieren. Daran ändert weder die Automatisierung etwas, noch die Prekarisierung, noch die Auswanderung bestimmter Industrien nach Asien. Dass „wir“ die Arbeitskosten reduzieren müssen, um im „Standortwettbewerb“ fit zu bleiben, ist neoliberale Voodoo-Ökonomie.
Prekarität ist deshalb ebenso wenig ein Naturgesetz wie stagnierende Löhne. Der Erwerbsarbeit den Rücken zu kehren und anderswo nach dem Glück Ausschau zu halten, ist wohl auch kein Königsweg ins Paradies. Eher, die „guten Seiten“ der Erwerbsarbeit zu stärken. Sie versorgt uns eben nicht nur mit Geld, sondern auch mit einer Aufgabe. Wer seine Arbeit als sinnvoll erlebt und in ihr respektiert wird und Tätigkeiten verrichtet, die ihm oder ihr Spaß machen, der oder die geht meist glücklicher durch das Leben. Eine „gute Gesellschaft“ wird wohl auf absehbare Zeit nicht „jenseits der Erwerbsarbeit“ verwirklicht, sondern indem man mehr und mehr Menschen in die Lage versetzt, innerhalb der Erwerbsarbeit aus ihrem Leben etwas zu machen, ihre Talente zu entwickeln und Freude an dem zu haben, was sie tun.
Entwertung der Arbeit
Arbeit sei kein Kostenfaktor wie jeder andere, sondern müsse wieder als sozialer Wert erkannt werden, fordert Nichi Vendola in einem Manifest für Italien.
Einer der Hoffnungsträger von Italiens Mitte-Links-Bündnis, Apuliens Präsident Nichi Vendola, lässt mit einer Publikation aufhorchen, in der er eine grundsätzliche Ökonomiekritik mit Vorschlägen für ein „besseres Italien“ verbindet. In seinem Programm, das eine gerechtere Steuerpolitik ebenso wie ein neues Bündnis von Staat und Markt propagiert, soll vor allem auch die Arbeit selbst neu bewertet werden. Vendola sieht die Arbeit, „die früher als Eckpfeiler jeden sozialen Fortschritts galt“, ihres zentralen gesellschaftlichen Stellenwerts beraubt. „Sie wurde zu einem Produktionsfaktor wie jeder andere, bei dem einzig und allein der Marktpreis zählt.“ Für das Heil der Ökonomie sei aber ein wesentliches Instrument sozialer Emanzipation aus der Hand gegeben worden: die Arbeit als sozialer Wert. Sie würde nicht nur individuelle Identität schaffen und Perspektiven sichern, sondern sei ein zentraler Baustein eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtbildes. Wer die Arbeitszusammenhänge zerstückelt, zerstöre auch den sozialen Zusammenhalt. Entsolidarisierung und das nutzenorientierte Individuum anstelle der Idee eines Gemeinwesens sei die Folge. Aber selbst in ökonomischer Hinsicht hält Vendola die Flexibilisierung für einen Mythos. Sie sei kein Allheilmittel, um den Verlust von Produktivität zu verhindern. „An die Stelle dieser Illusion muss wieder die kollektive Wahrnehmung von Rechten treten.“ Die Rolle, die der Staat dabei zu spielen hat, beschreibt Vendola mit Joseph E. Stiglitz: Er fordert eine Vision, in der der Staat eine neue, aktive Rolle innerhalb der Wirtschaft übernimmt: für eine bessere Umverteilung, eine bessere Rechtssituation, bessere Bildung; er müsste kleine Unternehmen und kreative Arbeit fördern und die Gemeingüter und soziale Sicherheit aller Bürger verteidigen. gun