Reichlich steuern, aber wie?
Die Reichensteuer ist in aller Munde, fast alle sind mittlerweile für sie. Steht sozialer Gerechtigkeit nun nichts mehr im Weg?
Wir prüfen die acht populärsten Vorschläge zu einer Reichensteuer.
Text: Martin Schürz, Beat Weber. Illustration: Eva Vasari
Fast alle sind jetzt schon für eine stärkere Besteuerung der Reichen. Meinungsumfragen ergeben satte Mehrheiten für ein Zulangen bei den Wohlhabenden. Die GegnerInnen liefern indes ein mattes Rückzugsgefecht und liefern nur noch intellektuelle Kläglichkeiten wie „Enteignungs“-Rufe, „Neidsteuer“-Vorwürfe und Undurchführbarkeits-Behauptungen („sofortige Kapitalflucht“). Steht sozialer Gerechtigkeit nun nichts mehr im Wege?
Nun, die Einigkeit der BefürworterInnen unter dem strahlenden Banner der Gerechtigkeit trügt. Nicht überall, wo Gerechtigkeit draufsteht, ist auch Gerechtigkeit drin. Und nicht alles, was steuerlich machbar ist, ist bereits gerecht. Denn in der sozialen Gerechtigkeitsdebatte wird es nicht nur notwendig sein, bei den Modellen der Reichenbesteuerung genauer zu werden (Frage nach dem Wie), sondern insbesondere bei deren Begründung (Frage nach dem Warum). Nur vorab: Eine Reichensteuer, die eine „winwin-Situation“ verspricht, von mehr Verteilungsgerechtigkeit, mehr Staatseinnahmen, mehr Wachstum und der Zustimmung aller träumt, ist jedenfalls illusionär. Fest steht, dass gesellschaft lichen Kontroversen weder durch den Verweis auf hohe Freibeträge, geringe Steuersätze oder lange Ausnahmenlisten ausgewichen werden kann. Zuerst muss begründet werden, warum überhaupt besteuert werden soll. Und die unterschiedlichen Begründungen werden unterschiedliche Steuervarianten nahe legen. Diese Unterschiede werden sich auch in den Steuereinnahmen niederschlagen. Aber auch die öff entliche Gerechtigkeitsdebatte ist davon ihrerseits beeinfl usst. Wie sieht es also mit den in der öffentlichen Debatte vorgebrachten Motivationen aus?
1. Reichensteuer ist ein „Solidarbeitrag“ nach der Krise
Dies dürfte gegenwärtig die beliebteste Begründung einer „Reichensteuer“ sein. Bejaht wird diese Belastung tendenziell sogar von Reichen. Warum? Sie bedeutet erstens eine zeitliche Befristung auf Krisenzeiten (d.h. nach der Krise würde die Reichensteuer eine neue Begründung benötigen) und zweitens muss Reichensteuer ja nicht Vermögenssteuer meinen, sie könnte sich als Solidarbeitrag auf Lohneinkommen beschränken. Diese Komponente ist für reiche Menschen aber in der Regel die unwichtigere Einkommensquelle. Viel wichtiger sind Vermögenseinkommen. Und sollte mit einer Reichensteuer eine Vermögenssteuer, d.h. eine Steuer auf die Vermögenssubstanz, gemeint sein, wären unter der Bezeichnung „Solidarbeitrag“ niedrige Vermögenssteuersätze und hohe Freibeträge zu erwarten. Es ginge eben nur um einen „Beitrag“, und wegen des Fokus auf „die Reichen“ würde die Mitte nicht belastet werden. Dieses Modell beinhaltet zudem ein ideologisches Moment. Es wird suggeriert, dass die Reichen von sich aus solidarisch seien, obwohl Steuern eigentlich Pflichtabgaben sind. Die Reichen würden mit dem Nimbus der freiwilligen Güte versehen und so moralisch ausgezeichnet. Hingegen käme kein Armer auf die Idee, seine Steuerleistung als "Solidarbeitrag" zu bezeichnen.
Aus zwei Gründen darf bei dieser Variante von sozialer Gerechtigkeit nicht die Rede sein. Es wird nur das Wachstum der Vermögensungleichheit gebremst, aber nicht die Kluft zwischen Arm und Reich verkleinert. Zweitens fehlt die Bezugnahme auf die gesamte Gesellschaft. Denn von einer Zweckwidmung der Reichensteuereinnahmen für die Armutsbekämpfung war bislang noch nicht die Rede.
2. Reichensteuern sind notwendig „gegen die Gier“
Die Besteuerung der Vermögenden gilt auch als Instrument zur ethischen Reform des Kapitalismus. Der Verweis auf Gier, die den auf den Finanzmärkten umtriebigen Reichen als Charaktereigenschaft zugeschrieben und als Ursache für die Krise behauptet wird, verallgemeinert das Thema ins Nebulose. Warum gerade die Reichen besonders gierig sein sollen, ist fragwürdig. Vielleicht sind die Armen ebenso gierig, nur haben sie definitiv weniger Mittel, die Gier zu leben. Beim Thema Gier ist der Lavendelverdacht hoch. Gier gilt in der Psychotherapie als Kennzeichen narzisstischer Persönlichkeitsstrukturen. Es könnte zwar so sein, dass sich solche Persönlichkeitsstörungen eher bei Reichen finden als bei Armen; allein wir wissen es nicht. Wann Gier beginnt, ist in monetären Angelegenheiten völlig offen, und der Einfluss von Steuern auf Gier ebenso. Vielleicht steigert eine höhere Besteuerung sogar den Wunsch nach noch mehr Einkommen, um den besteuerten Verlust wettzumachen?
3. Vermögensbezogene Steuern in Österreich sind vergleichsweise „zu niedrig“
Wer so argumentiert, ist pragmatisch unterwegs und benötigt kein Gerechtigkeitsargument. Verwiesen wird oft auf andere Staaten: Durchschnittlich tragen vermögensbezogene Steuern in den OECD-Staaten 5,2% Prozent zum Steueraufkommen bei, in Österreich sind es aufgrund der großzügigen Zurückhaltung des Staates gegenüber Privatvermögen nur 1,3 %. Würde Österreich zum OECD-Schnitt aufschließen, brächte das Mehreinnahmen in der Höhe von mehreren Milliarden Euro. Wie der internationale Durchschnitt aussieht, sagt aber nichts über richtig oder falsch in Steuerfragen aus, nur über die (Un-)Wahrscheinlichkeit von Kapitalflucht.
4. Reichensteuern sind „auch im Interesse der Reichen“
Rationale Reiche sollten diesem Argument zufolge ein Interesse an einer Vermögenssteuer haben, die den sozialen Zusammenhalt stärkt. Dies ist ein Gemeinwohlargument, das etwa auf den Zusammenhang von Ungleichheit und Kriminalität sowie von egalitärer Gesellschaft und Lebenszufriedenheit abstellt. Manche Reiche wie etwa die US-Milliardäre Warren Buffet und Bill Gates argumentieren tatsächlich so gemeinwohlorientiert. Doch der historische Trend bei den Vermögenssteuern zeigt, dass sich die Wohltäterfraktion bislang nicht durchsetzen konnte, und die Mehrheit der Wohlhabenden sich mehr vom Zukauf privater Lösungen für ihre Sicherheitsbedürfnisse verspricht.
5. Vermögenssteuern „erhöhen die Finanzstabilität“
Vermögenssteuern, die verhindern, dass die Reichen und die von ihnen beauft ragten Banken mit ihren riskanten Anlagen weitere Finanzkrisen auslösen, müssten massiv ausfallen. Es müssten hohe Steuersätze gewählt werden, damit die Reichen ihr Spielgeld verlieren. Das Bankgeheimnis müsste aufgegeben werden, damit die Finanzvermögensbestände kontrolliert werden können. Im Immobiliensektor müsste der preistreibenden Spekulation durch einen expandierenden öffentlichen Wohnbau begegnet werden. Zu solchen weitreichenden Maßnahmen zeichnet sich wirtschaftspolitisch nirgendwo die Bereitschaft ab. Stattdessen gibt es viel Gerede zur Finanztransaktionssteuer, deren Belastungseff ekt minimal und deren Beitrag zur Finanzstabilität vermutlich bescheiden ist (wenngleich mit ihr ein nicht unbeträchtliches Aufk ommen erzielt werden könnte). Von der österreichischen Politik lässt sich eine solche Steuer leicht fordern, da von den großen Finanzplätzen ein Veto kommt.
6. Vermögenssteuern „aufs Machbare beschränken“
Machbarkeit ist ein wichtiges Argument in der Debatte um Vermögenssteuern. So behaupten die GegnerInnen, dass jeder steuerliche Zugriff auf privates Vermögen durch den Staat scheitert, weil sich Vermögen durch Flucht entziehen würde. Gegen diese Behauptung ist ein beliebtes Gegenargument: Immobilien können nicht fl iehen; nun ist dies zwar faktisch richtig, aber kein Gerechtigkeitsargument. Und während zwar eine Immobiliensteuer durchaus auch die „Richtigen“ träfe – denn Immobilienbesitz ist hoch konzentriert (in Österreich befinden sich 61% des gesamten privaten Immobilienvermögens im Besitz der obersten 10%) – so entgingen andere Vermögenskomponenten (Finanzvermögen) unbegründet einer Besteuerung. Darüber hinaus bedürft en aus Verteilungssicht negative Nebenwirkungen einer Grundsteuer (Überwälzung der Steuer auf Mieten, Besteuerung mühsam ersparter Kleineigenheime) gesonderter Regelungen.
7. Arbeit und Vermögen steuerlich „wenigstens gleich behandeln“
Hier wird auf die steuerliche Gleichstellung von Einkommen aus Arbeit und Vermögen abgezielt. Beide Einkommensquellen sollen dem gleichen Steuersatz unterworfen werden. Problem: Die Unterschiede in der anfänglichen Ressourcenausstattung zwischen Armen und Reichen werden nicht berücksichtigt. Arbeit ist aber nicht mit Vermögensbestand zu vergleichen, aus dem Substanzentnahmen gemacht werden können. Mit sozialer Gerechtigkeit hat dieses formale Gleichheitsargument bei der Besteuerung daher wenig zu tun.
8. Soziale Gerechtigkeit verlangt eine substanzielle Vermögens- und Erbschaftssteuer
Besteuerung, die den Anspruch auf Gerechtigkeit erhebt, muss auf die Vermögenskonzentration zielen, da sonst die Kluft zwischen Arm und Reich nicht kleiner wird und die Demokratie ausgehöhlt wird. Das würde eine Besteuerung der Vermögenssubstanz, nicht bloß der Vermögenserträge bedeuten und eine möglichst umfassende Besteuerung aller möglichen Vermögensformen (Immobilien, Finanzvermögen etc.). Denn Vermögenssteuern in einer sozialen Gerechtigkeitsperspektive wollen explizit Umverteilung und nicht nur einen kleinen Beitrag vom Zugewinn. Eine fundamentale Diskussion zur Umverteilung ginge folglich nicht ohne Werte- und Interessenskonflikte ab. Eine substanzielle Vermögensbesteuerung wäre kohärent begründet, wenn auch der Verwendungszweck der Steuereinnahmen gesellschaftlich sinnvoll (z.B. Alterspflege, Kinderbetreuung, Stärkung der Kaufkraft der Armen, öff entliche Investitionen, usw.) ist. Während die Wohlhabenden im Fall freiwilliger Spenden aber diesen selbst festlegen, würde eine Besteuerung mit demokratisch definiertem Verwendungszweck den Kreis der Entscheidungsbeteiligten erweitern. Was als gesellschaft lich sinnvoll erachtet wird, wäre einer öff entlichen Debatte zuzuführen. Die Macht des Reichtums muss auf gelebte Demokratie treffen.