Schwere Planungsfehler
Staatssekretär Kurz hat einen Integrationsbericht vorgelegt, der „Integration durch Leistung“ einfordert. Eines leistet er paradoxerweise nicht: eine kritische Bestandaufnahme integrationsfeindlicher Gesetze.
Stellen Sie sich vor, der Besitzer eines siebenstöckigen Hauses beauftragt ein Expertenteam, herauszufinden, warum die Wohnungen in den obersten beiden Stockwerken leer stehen. Die ExpertInnen untersuchen die Lage, verfassen einen peniblen Bericht und listen zahlreiche Vorschläge auf, wie sich das Erklimmen der Stiegen vereinfachen ließe. Um die oberen Stockwerke zu befüllen, empfehlen sie als zusätzliches Druckmittel Strafzahlungen für all Jene, die eine Wohnung in den unteren Etagen beziehen. Nur auf eines wurde komplett vergessen: den Einbau eines Aufzugs zu prüfen, der rasch und bequem in die oberen Stockwerke führt. Trotzdem ist der Hausbesitzer mit der Arbeit der ExpertInnen hochzufrieden. Er schätzt komplizierte und wenig effektive Lösungswege.
Eine absurde Geschichte? Dann sollten Sie einmal einen Blick in den von Staatssekretär Kurz präsentierten Integrationsbericht werfen. Auch hier haben ExpertInnen Statistiken gewälzt und Projekte studiert. Unter dem Motto „Integration durch Leistung“ wurden Vorschläge unterbreitet, wie dafür gesorgt werden kann, dass mehr Menschen alle gesellschaftlichen Etagen erklimmen können. Nur um eines wurde ein großer Bogen gemacht: um den direkten Lösungsweg.
Was nützt es also, den in Österreich lebenden ZuwandererInnen, die Staatsbürgerschaft „schmackhaft“ zu machen, so wie das die ExpertInnen vorschlagen, wenn die Gesetzeslage kaum jemandem die Chance gibt, die Staatsbürgerschaftskriterien zu erfüllen? Die beschriebene Dynamik wird etwa im Zeitraum von 2003 bis 2010 besonders deutlich. Restriktiver gestaltete Gesetze senkten die Anzahl der verliehenen Staatsbürgerschaften um fast 90 Prozent!
Das hat drastische Folgen. Ohne Staatsbürgerschaft gibt es keinen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt. PolizistIn kann etwa nur werden, wer StaatsbürgerIn ist. Für den Zugang zu Gemeindewohnungen braucht es zwar keine Staatsbürgerschaft, aber eine Daueraufenthaltsberechtigung. Und auch hier wurden die gesetzlichen Hürden erst kürzlich wieder markant erhöht.
Stellen Sie sich vor, alle jungen SportlerInnen müssten, bevor sie Profi werden dürfen, ein langwieriges, oft mehrjähriges Lizenzverfahren durchmachen. Und während dieses Verfahren läuft, gilt für diese SportlerInnen ein absolutes Trainingsverbot. Sie dürften sich nicht fit halten. Absurd? Nicht absurd genug, um in Österreich nicht eine ähnlich gelagerte Praxis vorzufinden. Asylsuchende sind, während ihr Antragsverfahren läuft, de facto vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Sie dürfen erst dann arbeiten, wenn das Verfahren abgeschlossen und festgestellt wurde, dass sie „spielberechtigt“ sind. Bis dahin vergehen oft Jahre. Wie gut werden sich diese Menschen nach Jahren der Untätigkeit am Arbeitsmarkt schlagen? Im Integrationsstaatssekretariat will das offenbar niemand wissen. Denn, auch zu dieser Thematik findet sich im Integrationsbericht keine Silbe.
Es ist fast schon tragisch, was namhafte ExpertInnen produzieren, wenn sie von der Politik in ein enges und falsch geschnürtes Korsett gesteckt werden. Keine der im Bericht vorgeschlagenen Maßnahmen greift die bestehende kontraproduktive Gesetzeslage an. Worte wie „Diskriminierung“ oder „Rassismus“ sucht man im Bericht vergeblich, ebenso den Hinweis auf fehlerhafte Strukturen und diskriminierende Mechanismen.
Anstatt die Rahmenbedingungen zu ändern, die zu Ausschlüssen im Bildungsbereich, am Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche, der politischen Partizipation, im Sport und vielen anderen Lebensbereichen führen, setzt der Integrations-Maßnahmenkatalog in erster Linie bei "der Leistung" von MigrantInnen an. Es wird eifrig am Stiegengeländer gefeilt und mit Sanktionen bei Nichtbesteigung der Treppen gedroht, anstatt endlich dafür zu sorgen, dass Aufzüge fahren, die gläserne und gar nicht so gläserne Decken durchbrechen können. apo