Traiskirchen statt London.
Islamisten drohten in Somalia mit Zwangsheirat, der Vater organisierte einen Schlepper. Was ihr auf der Flucht widerfuhr und wie sie ohne Familie und gesicherten Aufenthalt weitermachen will, erzählt die 16-jährige Somalierin Quabout im Rahmen des Stücks „Die Reise“. Portrait: Nasila Berangy
Noch einmal ihre Familie zu sehen, das ist Quabout Ali’s* größter Wunsch. Vor zwei Jahren hatte ihr Vater beschlossen, sie müsse zu ihrer eigenen Sicherheit Somalia verlassen. Im Volkstheater erzählt sie nun, neben anderen Flüchtlingen, ihre Lebensgeschichte. Sie soll öffentlich werden, um das, was ihr widerfahren ist, keinem weiteren Mädchen passieren zu lassen.
Als Quabout vor einem Jahr 15 Jahre alt wurde, tauchten islamistische Rebellen auf, um sie zu verheiraten. Der Islam wolle das so, lautete die lapidare Begründung. Ihr Vater, ein frommer Muslim, widersetzte sich. Sie übten Druck auf die Familie aus. Als ihr etwas älterer Bruder Quabout schützen wollte, verschleppten ihn die Rebellen. Bis heute weiß Quabout nicht, was mit ihm passiert ist. Erst kürzlich erfuhr sie über das Rote Kreuz, dass sein Name auf der Liste eines Lagers in Mosambik steht. Ob er tatsächlich dort ist und lebt, ist bislang ungewiss. Nach den geschilderten Ereignissen befand ihr Vater schließlich, dass sie das Land so schnell wie möglich verlassen müsse. Er machte sich nach Mogadischu auf, um einen Schlepper zu suchen, der Quabout nach London bringt.
Was aus ihrer Familie wurde, weiß sie nicht. Diese vermute sie in London, meint Quabout. Indes muss die junge Frau auch an ihre eigene Zukunft denken. Sie will in Österreich Medizin studieren. Um dann als Ärztin ihrem Land zu helfen. Das entspräche auch dem Wunsch des Vaters. Damals, in Somalia, durfte nur ihr Bruder in der Moschee Mathematik, Englisch und Arabisch studieren. Sie nicht, für ein Mädchen hätte sich das nicht geschickt. Ihr Vater hatte deshalb zu Hause Privatunterricht organisiert. Heute spricht Quabout fließend Englisch. Wegen ihrer Sprachkenntnisse sollte sie ursprünglich nach England gehen. Doch der Schlepper brachte sie unter dreisten Lügen nach Traiskirchen. Als er sie bereits drei Monate lang in Äthiopien bei einem Ehepaar untergebracht hatte, kam er eines nachts zu ihr ins Zimmer und befahl, sie solle sich ausziehen. Als sie sich weigerte, kam das Ehepaar dazu und hielt sie fest, bis sie sich nicht mehr wehrte. Das, sagt sie mit fester Stimme, ist auch „der Grund, warum ich bei diesem Theaterstück mitmache. Wenn Somalier hierher kommen und dieses Stück sehen, sollen sie begreifen, dass sie nicht einfach ihre Töchter fremden Menschen anvertrauen können.“
Die österreichischen Behörden erachten Quabouts dramatische Erlebnisse nicht als Asylgrund. Österreich bietet somalischen Flüchtlingen grundsätzlich nur subsidiären Schutz. Sobald die Behörden der Meinung sind, die Lage habe sich wieder beruhigt, schickt man die Menschen wieder zurück, erklärt die Regisseurin des Theaterstücks, Jacqueline Kornmüller. Das gilt auch für Quabout. Sie wurde bislang einem ersten, vierstündigen Interview unterzogen. Mit wenig Feingefühl, wie sie selbst sagt, nötigte man sie, über ihre Vergewaltigung immer und immer wieder zu sprechen. Kornmüller vermutet dahinter die Absicht, „die Menschen los zu werden, anstatt den gesuchten Schutz zu gewähren.“ Der nächste Interviewtermin ist Anfang September, die Hoffnung auf einen positiven Ausgang lebt dennoch. Mit dem Theaterstück will Kornmüller die Zuschauer auffordern „zuzuhören und Empathie zu entwickeln, um die eigene Haltung zu überprüfen.“
Ob Quabout’s Leben auch eine positive Wendung bekommt, hängt nicht allein von ihrem Flüchtlingsstatus ab. Im Moment ihrer Vergewaltigung hatte sie nur einen Gedanken: Nicht mehr zu leben. In Somalia haben Frauen, die sexuell missbraucht wurden, keine Existenzberechtigung, erzählt Quabout. Es wäre ihr sogar noch lieber gewesen, sie hätte einen von diesen Islamisten geheiratet. „Dann wäre ich wenigstens noch eine geachtete Person.“
Ob das Leben heute wieder für sie lebenswert ist? Sie will ihre Eltern finden. Sie sollen entscheiden, ob sie es verdient, weiterzuleben.
*Name von der Redaktion geändert.
Die „Reise“ ist ab 23. September im Volkstheater zu sehen. www.volkstheater.at und www.wennessoweitist.com.