Heute lacht niemand mehr
Kaum hatte Rudi Vierbauch, Obmann von Bio Austria, nach seiner Rede auf der parlamentarischen Enquete Ende Mai wieder Platz genommen, kam schon ein leicht aufgebrachter Abgeordneter zu ihm. Er klärte den Bio-Bauern-Vertreter sinngemäß auf, dass das mit der biologischen Landwirtschaft Unsinn sei, weil vom Ackerboden seiner Nachbarn schon das Unkraut herüber wuchere. Kaum zu glauben, aber während die Nachfrage in Österreich nach biologischen Produkten nicht mehr gestillt und teils durch Importe aus China abgedeckt werden müsse, wie Vierbauch erzählt, finden sich auf politischer Ebene offenbar immer noch Fürsprecher einer Landwirtschaft, die auf den Einsatz chemischer Keulen schwört. Dabei hatte Vierbauch eben grundsätzliche Gedanken zu einer gemeinsamen Agrarpolitik bis 2013 skizziert. Mit Pestiziden und künstlichen Stickstoffdüngern habe man in Europa in den vergangenen vier Jahrzehnten die Produktivität um den unglaublichen Wert des Zwanzigfachen gesteigert. Nun wollen immer weniger KonsumentInnen die Früchte dieses Erfolgs konsumieren.
Bio: Vielen zu radikal
Heute liegt Österreich mit knapp 20 Prozent Bio-Flächenanteil weltweit im Spitzenfeld. Mit seinen kleinteiligen bäuerlichen Strukturen barg der EU-Beitritt 1995 zwar ein echtes Risiko, doch die Politik habe, das bescheinigt auch Vierbauch, diese Herausforderung mutig gemeistert. ÖPUL, das Förderprogramm für umweltgerechte und natürliche Landwirtschaft, spielte dabei für den Bio-Boom eine bedeutende Rolle. Vielen Bauern und Bäuerinnen wurde der Umstieg durch satte Förderungen schmackhaft gemacht, ein ökologisches Bewusstsein entwickelte sich. Demnächst läuft ÖPUL aus und Rudi Vierbauch fordert wieder mehr Mut von der Politik. Er sieht ein Land, wo biologische Landwirtschaft einen klaren Stellenwert hat, aber immer noch eine „emotionale Schwelle“ besteht, weiter in umweltfreundliche Techniken für die Zukunft umzustellen. Diese zu überwinden, dafür lobbyiert Vierbauch gerne. Was er darunter versteht ist, vor allem auf Veranstaltungen in vielen Einzelgesprächen Ängste auszuräumen. Bei den Mitgliedern des mächtigen Bauernbundes dürfte die grün dominierte Bio Austria keinen leichten Stand haben, die konventionelle Landwirtschaft fürchtet, durch den Ausbau von Bio unter Druck gesetzt zu werden. Vierbauch: „Bio ist für viele zu radikal, sie können sich gar nicht vorstellen, jemals biologisch anzubauen.“ Noch wartet einiges an Überzeugungsarbeit, auch um die Politik von den Vorzügen und der Notwendigkeit einer umwelt- und tiergerechten Landwirtschaft zu überzeugen, glaubt der Landwirt, der im kärntnerischen Räufling selbst 50 Kühe zur Milchwirtschaft hält.
Dass Österreich sich nicht immer zurecht als Bio-Hochkulturland abfeiert, zeigt sich etwa am Stand der Schweinehaltung. Nur knapp zwei Prozent der Schweinebauern setzen auf eine artgerechte Haltung mit Auslauf. D.h. 98 Prozent produzieren ihre Wurst- und Fleischwaren mit Tieren, die ihr Leben auf engem Raum, auf Spaltböden in Hallen fristen. Die Lüftungen arbeiten 24 Stunden am Tag. Bei einem Ausfall würden die Tiere rasch den Ammoniak- und anderen Gasen erliegen. Derzeit kampagnisiert der Verband der Schweinebauern heftig für die Fortsetzung der Kastenstand-Haltung. Und beweist, dass noch nicht alle im Feinkostladen Österreich, wie Franz Fischler es einmal ausdrückte, angekommen sind.
Angst vor Veränderung
„In der Umstellungsphase gab es viele Unsicherheiten.“, erinnert sich der Biobauer Heinz Unger. „Ich hab mich gefragt, ob mich die Nachbarn auslachen.“ Heinz und Christa Unger stellten ihren Hof im steirischen Mitterlabil vor zehn Jahren um. Aus Überzeugung „Wir haben das nicht wegen irgendwelcher Förderungen gemacht. Wir lebten als konventionelle Bauern auch gut, aber wir wollten etwas für uns und unsere Kinder ändern.“ Mittlerweile lache niemand mehr über die Bio-Bauern. „Ein besonderes Kompliment für uns ist sicher, dass sogar unsere Nachbarn, konventionelle Bauern, bei uns einkaufen.“ Dennoch bleibt das agrarische Kräfteverhältnis ungleich. Dass die Produktion einiger konventioneller Produkte nach wie vor stärker forciert wird, führt Unger auch auf die rege Lobbytätigkeit innerhalb der Landwirtschaftskammer zurück: „Natürlich gibt es die. Die Schweinelobby zum Beispiel versucht immer rüber zu bringen, wie gesund es ist, Fleisch zu essen. Bei anderen Produkten hat man hingegen das Gefühl, allein gelassen zu werden.“ Unger schwört auf Soja – ein Eiweißkonkurrent von Fleisch – und Hanf, beides würde kaum propagiert. Statt dessen würden viele Bauern jedes Jahr das gleiche anbauen. „So, wie sie es gewohnt sind, und wofür sie Förderungen erhalten. Dabei“, so Unger weiter, „gäbe es bei den Bauern viel Potential.“ Während die Bremser im Bauernbund also auch an der Absicherung des eigenen Klientels interessiert sind, dürfte die Zeit gegen sie arbeiten. Auch christlich-soziale Politiker wie Franz Fischler haben das erkannt, als sie als Interessensgruppe das Ökosoziale Forum aus der Taufe gehoben haben. Freilich ist die Frage, wie sehr bei diversen Bio-Initiativen wie „A faire Milch“ von Lobbyismus oder nicht vielmehr von Idealismus gesprochen werden muss. Dass ökologisch orientierte Initiativen mitunter einen schweren Stand haben, skizziert Hans Weiss in seinem Buch „Schwarzbuch Landwirtschaft“. 2004 formierten sich verzweifelte Bauern über fallende Milchpreise die Bio-orientierte IG Milch. Nach beharrlicher Aufbauarbeit und spektakulären Protestaktionen, etwa der Demo am Wiener Ring im April 2009, zählt die IG Milch heute rund 6.000 Mitglieder. In Supermärkten konnte man sich als erfolgreiche Marke etablieren. Die Rebellen waren von Beginn an auf Selbsthilfe angewiesen, finanzierten sich im Alleingang. Als 2007 das Ökosoziale Forum eine Vermarktungsfirma mit dem nicht unähnlich klingenden Namen Fairea gründete, erhielt diese, laut Weiss, von den Agrarstellen auf Anhieb mehrere 100.000 Euro Förderzusagen. Der nebulose Begriff des Lobbyismus scheint manchmal das Gegenteil von Überzeugungsarbeit zu bedeuten. Ende 2009 beteiligten sich laut Hans Weiss acht österreichische Betriebe an Fairea, gegenüber 6.000 Bauern von A faire Milch.
Dass der Öko-Gedanke in Österreich nicht nur bei den LandwirtInnen – rund 15 Prozent sind Bio-Bauern – sich marktrelevant durchsetzte, sondern auch bei den KonsumentInnen, dafür spielte auch der Einzelhandel eine Rolle. Schon im Herbst 1994 stand die bis heute mächtige Marke „Ja! Natürlich“ in den Regalen. „Ein wichtiger Punkt für den Erfolg von Bio ist, dass die großen Supermarktketten Bio-Linien einführten.“, bestätigt auch Jens Karg von Global 2000. Einer, der in diesem Zusammenhang gerne als Pionier bezeichnet wird, ist Werner Lampert. Er überzeugte die Rewe-Bosse Bio-Produkte als eigene Linie ins Sortiment zu nehmen. Von Biobauern und Konzernchefs anfangs gleichermaßen belächelt, glaubte der Vorarlberger an die Symbiose zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen. Mittlerweile hat Lampert mit „Zurück zum Ursprung“ auch den Diskonter Hofer erobert. Der ökologische Aspekt wurde hier PR-trächtig durch die regionale Herkunft ergänzt. Angesichts diverser Skandale in der Lebensmittelindustrie könnte man nicht ohne Ironie so wie der Grün-Abgeordnete Wolfgang Pirklhuber behaupten: „Wenn jemand Lobbyarbeit für Bio geleistet hat, dann war das die Lebensmittelindustrie selbst. Deren Skandale brachten die Konsumenten zur Verzweiflung.“ Der Grüne fordert unbescheiden den Ausbau von der Nische zu einem Produkt, das 100 Prozent des Marktes umfasst. Weil es der einzig richtige Weg sei.
In der Frage genmanipulierte Pflanzen scheint man sich über die Richtung hingegen einig. Österreichweit gibt es verschiedene Initiativen, um die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) zu verhindern. Wolfgang Kober von Bio Austria verweist auf das steirische Gentechnikvorsorgegesetz, das dessen Einsatz verbietet. „2010 ist es gelungen, die Landkarte für eine gentechnikfreie Steiermark zu vervollständigen. Laut Gesetz ist es also praktisch unmöglich, GVO in der Steiermark anzubauen.“ Schon das Gen-Volksbegehren, das 1997 von den Grünen initiiert wurde, war mit 1,2 Mio. UnterstützerInnen das bis dahin zweiterfolgreichste in der Alpenrepublik. So eindeutig diese Haltung sein mag, so unklar erscheinen die Grenzen etwa bei Futtermitteln. Österreich importiert jedes Jahr viele Tonnen Soja als Futtermittel. Dieses Soja darf auch gentechnisch verändert sein und gelangt so sehr versteckt in die Nahrungskette. Die Ungers, die als Bio-Bauern selbst Soja produzieren, haben für diese Importe naturgemäß wenig Verständnis: „Dass Futtermittel aus den armen Ländern der Welt importiert werden müssen, nur um unser tägliches Stück Fleisch am Teller haben, ist einfach falsch. Falls wir nicht genug Futtermittel erzeugen, haben wir auch nicht das Recht, derart viele Tiere zu halten und zu essen.“ Der Grüne Pirklhuber, selbst ein Bio-Nebenerwerbsbauer, sieht für die Zukunft zwei Visionen: „Die erste ist bestimmt von Agrarchemie und Gentechnik. Die andere ist der biologische Landbau. Dieser ist auch für Länder in Afrika mit knappen Ressourcen die bessere Variante. Außerdem sollten diese Länder ein Recht zur Selbstbestimmung haben und nicht von anderen Konzernen abhängig sein.“ Nicht nur im weiteren Ausbau biologischer Landwirtschaft, sondern auch in dieser Hinsicht wartet noch eine Menge Bewusstseinsarbeit auf die VorkämpferInnen einer zukunftsorientierten Landwirtschaft.