Ein Kontinent im Ausverkauf
Während in Äthiopien acht Millionen Menschen hungern, vergibt die Regierung rund drei Millionen Hektar Land an ausländische Investoren. Das ist kein Einzelfall in Afrika.
Reportage: Corinna Milborn
Am 20. August 2008 brachte Scheich Mohammed Hussein al-Amoudi dem saudischen König eine Kostprobe Reis. Dem Herrscher mundete die erste Ernte, die von 10.000 Hektar Pachtgrund in Äthiopien stammte. Also gründete al-Amoudi, zweitreichster Saudi und laut „Forbes“ Nummer 43 der Reichsten der Welt, die Firma Saudi Star und fädelte einen etwas größeren Deal ein. Während acht Millionen ÄthiopierInnen hungern, leasen die Saudis nunmehr 500.000 Hektar fruchtbares Land, um ihre ehrgeizigen Wirtschaft spläne zu realisieren. Schon in Tansania hatten die Saudis eine so große Fläche Land geleast, im Sudan, in Ägypten und in Marokko haben sie Land gekauft . Doch in Äthiopien ging es besonders glatt. Auch der indische Geschäftsmann Ramakrishna Karuturi hat in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba ein Büro eröffnet, um von hier aus einen neuen Boom-Markt zu erobern: Karuturi baut gerade den gleichnamigen Agrobusiness-Konzern auf und will dafür Anbaufl ächen für Biodiesel, Öl, Reis, Zucker und Weizen. Auch sein Deal mit der Regierung steht. Karuturi least 549.000 Hektar Land: 239.000 für Blumen, 310.000 für Lebensmittel und Energiepfl anzen, derzeit für den Export, später vielleicht auch für Ostafrika. Der Vertrag läuft auf 40 Jahre, verlängerbar auf 80. Eine Milliarde will der Konzern hier investieren, um an den steigenden Lebensmittelpreisen und der Nachfrage nach Biodiesel zu verdienen.
549.000 Hektar: Das ist mehr als die Hälft e der gesamten Agrarfläche Österreichs und so viel, wie 549.000 durchschnittliche Kleinbauern in Äthiopien gemeinsam zur Verfügung haben. Karuturi und al-Amoudi sind aber nicht die Einzigen: Äthiopiens Regierung vergibt derzeit drei Millionen Hektar Land langfristig an ausländische Investoren, an Inder, Saudis, Chinesen, Europäer. Das wirkt paradox, denn dieselbe Regierung tourt gerade durch die Welt und bittet um Lebensmittelhilfe in der schlimmsten Hungersnot seit zehn Jahren.
Blumen statt Getreide
Derzeit hungern in Äthiopien nach einer Dürre acht Millionen Menschen. Der Grund: Sie haben nicht genug Geld, um Lebensmittel zu kaufen, die Hälfte der 80 Millionen Einwohner lebt von weniger als einem Dollar pro Tag. Sobald sich das ändert, will Karuturi an diesem Markt partizipieren. Sein Konzern ist derzeit Weltmarktführer bei Blumen. Sieben Prozent der Blumen, die in Europa gekauft werden, werden von Karuturi geliefert. Aldi, Rewe, Edeka zählen zu den Kunden. Der Großteil wächst in Äthiopien.
Doch Äthiopien ist kein Einzelfall. In ganz Afrika reißen sich derzeit Investoren aus aller Welt darum, riesige Flächen an Land zu kaufen. Allein in den letzten zwei Jahren wurden nach Schätzung der Organisation GRAIN 20 Millionen Hektar vergeben – fast zwanzig Mal Österreichs Agrarfläche. Weltweit sind bereits 40 Millionen Hektar in Entwicklungsländern an ausländische Investoren gegangen: Land ist Trumpf in Zeiten der Krise. Die Gründe sind vielfältig: Staaten wie Saudi-Arabien, Kuwait oder China sind von Lebensmittelimporten abhängig. 2007, als im Gefolge der Subprime-Krise die Rohstoffpreise explodierten und Dutzende Staaten Exportverbote verhängten, erlitten sie einen Schock. Nun sichern sie sich Land in Afrika und Lateinamerika, um dort selbst ihre Lebensmittel anzubauen. Zweitens gibt es den Boom von Biodiesel. Als Südkoreas Automobilkonzern Daewoo 2009 die Hälft e der Agrarfläche Madagaskars für die pflanzliche Treibstoffproduktion kaufen wollte, scheiterte er erst an den dortigen Aufständen. Und drittens bauen Finanzinvestoren vor. Steigende Bevölkerungszahlen und Klimawandel steigern die Nachfrage nach Lebensmitteln. Hedgefonds und Beamten-Pensionsfonds investieren gleichermaßen in Land.
Keine Steuern, keine Exportzölle. Für Investoren ist alles „billig, sehr billig“.
Doch warum geben Afrikas Regierungen, die ihre hungernde Bevölkerung zu versorgen haben, das Land ab – und verlangen kaum etwas dafür? Esayas Kebede von Äthiopiens staatlicher Agentur, die Land auswählt und Investoren anbietet, kann es erklären. „Unsere Landwirtschaft ist nicht intensiv genug, die Produktivität zu niedrig. Ausländische Investitionen bringen Technologie und Arbeitsplätze.“ Wenn genug Leute bei den Investoren arbeiten, geben sie Geld aus und kurbeln die Wirtschaft an. Deshalb erstellt Kebede Angebotsmappen mit Satellitenbildern und Bodenanalysen. 1,6 Millionen Hektar sind bereits identifi ziert, bis 2012 sollen noch einmal so viel dazukommen. Der Staat ist bereit, dafür viel zu tun: Er stellt Staudämme für Bewässerung zur Verfügung, baut die Straßen und Stromleitungen. Fünf Jahre ist keine Steuer zu zahlen, Exportzölle gibt es für Ausländer nicht. Und der Preis des Landes? „Es ist billig, sehr billig. Am Geld soll es nicht scheitern“, versichert Kebede.
Von Enteignungen oder Entschädigungen ist dabei niemals die Rede. Die größten Flächen liegen in der Provinz Gambella, an der Grenze zum Sudan. „Dort ist alles leer“, sagt der Mann von der Investitionsagentur. „Äthiopien hat 74 Millionen Hektar bebaubares Land, nur 15 Millionen sind kultiviert – Platz genug.“ Die Regierung hat bei der Vergabe des Landes leichtes Spiel: Seit der kommunistischen Diktatur der 1980er Jahre ist das Land verstaatlicht, Landtitel existieren deshalb nicht – wie in vielen Ländern Afrikas. Proteste enteigneter Bauern haben vor Gericht kaum Chancen. „Das Land ist nicht leer, sondern wird den Bauern dort weggenommen“, meint ein Politikwissenschaftler aus Addis, der anonym bleiben möchte. „Der Hauptgrund für den Verkauf ist Korruption: Die Regierung verdient sich an den Kick-back-Zahlungen eine goldene Nase.“ Doch Korruption weist die Regierung weit von sich – sie hat auch abseits des Trickle-down-Effekts gute Argumente für den Ausverkauf: Das Land ist verschuldet, die Handelsbilanz ist permanent negativ. Deshalb ist auch angesichts der Hungersnot die Versorgung der eigenen Bevölkerung kein Ziel. Die Investoren sollen exportieren. In einem Land, das hungert? „Die Nahrungsmittelversorgung bei uns kommt von den Kleinbauern, das sollen die Investoren nicht übernehmen“, meint Kebede von der Investitionsagentur. Doch 70 Prozent der Bauern in Äthiopien haben weniger als ein Hektar, weitere 20 Prozent weniger als zwei. Klimawandel und Erosion treiben immer mehr in den Hunger – und so in die Migration: erst in die Städte, dann auf den langen Weg nach Europa. „Eben: Wir brauchen Arbeitsplätze“, sagt Kebede. Für ihn sind die Investitionen eine Win-win-Situation. Arbeiter braucht der indische Konzernchef Karuturi aber kaum. Nur für den Rosenanbau. 5.000 ÄthiopierInnen beschäft igt der Konzern derzeit. 5.000 sollen nächstes Jahr dazukommen – bei 40 Prozent Arbeitslosigkeit in Addis und Landflucht ein gutes Argument.
Die ungelernten Arbeiterinnen arbeiten sechs Tage die Woche und gehen mit 40 Cent Tageslohn nach Hause – die Hälfte eines indischen Niedrigstlohns. Ayana, 26, verdient so nur knapp zehn Euro im Monat. Die Hälfte gibt sie für einen Schlafplatz aus, vom Rest kauft sie ihrem Sohn, den sie alle zwei Wochen sieht, Lebensmittel: etwa Nudeln. Eine Packung kostet zwei Tageslöhne. Der erhoffte Konsumschub wird von diesen Arbeiterinnen nicht kommen.
Beispiele wie diese finden sich nun auch in den Reports der internationalen Organisationen zuhauf: Die OECD, das World Food Programme, die deutsche GTZ und eine ausführliche Studie der Welternährungsorganisation FAO kommen alle zum Schluss, dass der massive Landverkauf der Bevölkerung keine Vorteile bringt. „Die Verträge sind sehr dünn, es gibt keine Absicherungen“, sagt David Hallam von der FAO. „Wir sehen Papiere von Ministern, in denen sie praktisch alles versprechen, ohne Bedingungen und ohne Kontrollen.“ Ein Ende dieser Entwicklung ist bislang nicht in Sicht. In den nächsten zwei Jahren wird Äthiopien circa drei Millionen Hektar Land auf 40 bis 100 Jahre verleast haben. Sollte es sich die nächste Regierung anders überlegen und das Land zurückwollen, hat sie keine Chance: Die Verträge sind durch internationale Abkommen gesichert, einklagbar vor der WTO. Der Chef der FAO, Jacques Diouf, hat dafür ein klares Wort: „Neokolonialismus.“ Doch sein moralischer Appell verpufft : Die neuen Kolonialherren sind anonyme Fonds oder kommen selbst aus ehemaligen Kolonien – Indien, China, arabische Länder. Ihr schlechtes Gewissen hält sich in Grenzen.