„Wollen Beamte mit Turban sehen“
Béatrice Achaleke, schwarze Frauenrechtsaktivistin, hält Diversität in Österreich für ausbaufähig und fürchtet, dass es den Grünen so ergehen könnte wie US-Präsident Obama nach zwei Jahren.
Interview: Clara Akinyosoye, Fotos: Karin Wasner
Kürzlich wurde eine Familie mit autistischem Sohn aus einer Gemeindewohnung delogiert. Der Junge war zu laut. Kann man in Wien mit Diversität nur umgehen, wenn sie Gewinnmaximierung verspricht?
Kinder werden auch in Schubhaft gesteckt und abgeschoben. Wenn eine Familie mit einem Kind, das eine Behinderung hat, delogiert wird, dann zeigt uns das, wie kalt Wien geworden ist. Dass die Familie für das Kind da sein möchte und es nicht in ein Heim abschiebt, spricht doch von einer Menschlichkeit und Menschenwürde, die von der Stadt eigentlich zu unterstützen wäre. In Wien gibt es zweifelsohne Diversität, aber den richtigen Umgang damit müsste Wien noch lernen.
Diversität ist auch in Österreich zu einem politischen Schlagwort geworden. Wie beurteilen Sie die Umsetzung?
Österreich steckt bei der Umsetzung von Diversität noch in den Kinderschuhen. Es geht ja nicht darum, Menschen einen Gefallen zu tun, sondern es liegt im Interesse aller, die Talente jener Gruppen, die bis jetzt vor allem als Minderheiten angesehen worden sind, wahrzunehmen: Menschen mit anderer ethnischer Zugehörigkeit, mit Behinderungen, oder besser, mit anderen Fähigkeiten, Menschen, die eine andere sexuelle Orientierung haben oder einer anderen Religion zugehören. Vielfalt gibt es also, der Umgang damit will aber noch erlernt werden.
Sie haben mit dem World Diversity Leadership Summit einen Kongress, der sechs Jahre lang in den USA abgehalten wurde, nach Wien geholt. Wie das?
Ich hatte den Eindruck, dass viele Menschen von Themen wie Gleichstellung, Chancengleichheit, Empowerment und Menschenrechten meinten, das ginge sie nichts an. Dann ist es Zeit, umzudenken und neue Konzepte zu finden. Für die Themen schwarzer Frauen hat sich ja niemand zuständig gefühlt. Ich habe also nach einem Gesamtkonzept gesucht, das Chancengleichheit für alle aus diversen Perspektiven wieder in den Mittelpunkt rückt. Dabei war mir wichtig, neue Verbündete zu finden, etwa in der Privatwirtschaft. Betriebe müssen ein Spiegelbild der Gesellschaft werden, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. An diesem Konzept führt kein Weg vorbei. Aber nicht als Modeerscheinung. Man sollte sich ernsthaft damit auseinandersetzen.
In der Integrationsdebatte gibt die Wirtschaft den Ton an. Ist die Frage des Nutzens der richtige Ansatz?
Hand aufs Herz, wer tut etwas, ohne davon einen Nutzen zu erwarten? Manche fürs Image, für Renditen, Macht, Selbstgefälligkeit oder für das Ego. All das ist für mich akzeptabel, solange ethische Grenzen nicht überschritten werden. Menschen sollten dabei immer im Vordergrund stehen. In der Debatte um Schlüsselkräfte und die Rot-Weiß-Rot-Card fehlt mir aber der menschliche Zugang. Da habe ich den Eindruck, wir reden hier von einem Obststand, zu dem man hingeht und einmal schaut, welche Äpfel reif und welche knackig genug sind. Die nehme ich mir und die anderen lasse ich liegen. Man vergisst, dass es um Menschen geht.
Wien hat eine neue Stadtregierung. Erwarten Sie von Rot-Grün mehr Impulse für eine Diversitätspolitik?
Ich erwarte von der Regierung und von der Politik schon gar nichts mehr. Die Politiker denken im Vierjahres-Rhythmus. Was Rot-Grün angeht, sehe ich das als eine schöne Möglichkeit, dass die SPÖ-Alleinregierung endet. Aber die Grünen haben als kleine Partei nicht die Entscheidungsbefugnis der SPÖ. Wenn sie in die Regierung kommen, haben alle hohe Erwartungen. So wie an Obama. Jetzt schießen ihn alle ab, vor zwei Jahren haben sie ihn hochgejubelt. Ich fürchte, dass die Entscheidung mitzuregieren für sie zum Verhängnis wird.
Sie selbst haben 2008 für die Grünen kandidiert. Es hat nicht geklappt. Ist ein politisches Comeback dennoch möglich?
Nein, ich mache Gesellschaftspolitik. Es war eine wunderschöne Erfahrung, die mir deutlich gezeigt hat, wo ich nicht sein möchte. Es wäre zu schade um meine Kreativität, meine Freiheit und die Möglichkeit, meine Themen selbst auszusuchen und umzusetzen, ohne dass sie mir jemand genehmigen muss oder sich ein Parteivorsitzender damit schmückt. Ich kann und will parteiübergreifend arbeiten, das ist mir ganz wichtig. In Österreich denkt man in Farben. Rot, Schwarz, Grün, oder Blau. Aber ich will – bis auf ein paar Ausnahmen – alle Farben haben.
Sie haben vor einigen Jahren Schulungen für die Polizei abgehalten. Heuer haben wir zehn Jahre „Fair und Sensibel“, ein Verein, der Afrikaner und Polizisten näher zusammenbringen soll.
Ich habe dieses Projekt von Anfang an nicht gutgeheißen. Es ist eine Struktur, die man geschaffen hat, um uns das Gefühl zu geben, man nehme unsere Bedürfnisse ernst. Doch im Grund passiert nichts. Nach wie vor werden schwarze Menschen auf offener Straße niedergeschlagen, von der Polizei mit Gewalt behandelt. In den zehn Jahren gab es Tote in Polizeigewahrsam. Die Polizisten wurden nicht verurteilt. Ich frage mich ernsthaft nach dem Sinn dieser Einrichtung.
Welche Maßnahmen erwarten Sie da vom Innenministerium?
Innenpolitik und keine Desintegrationspolitik. Dass Integration nicht mit Sicherheit und Kriminalität gleichgesetzt wird. Dass das Innenministerium in die verschiedensten Communities hineinhört und die Menschen, um die es geht, auch in diese Arbeit mit eingebunden werden. Wir wollen Beamte, die aussehen wie wir. Wir wollen Beamte mit Kopftuch sehen, wir wollen Beamte mit Turban sehen, wir wollen Beamte im Rollstuhl sehen. Sie bringen eine andere Dynamik mit.
Zum Thema Vielfalt: Nimmt man in Österreich eigentlich die Verschiedenheit von Menschen afrikanischer Herkunft wahr?
Kürzlich sagte mir jemand, dass die African Community sehr zersplittert ist. Zersplittert sind wir nicht, wir sind vielfältig. Wir sind nicht unter ein Dach zu bringen. Wir reden von Menschen, die aus unterschiedlichsten Ländern kommen. Die nicht nur keine gemeinsame Sprache haben, sondern auch unterschiedliche Kulturen, Vorstellungen und Erwartungen. Das sollte auch respektiert werden. Zu glauben dass wir alle zusammen sein müssen, einfach nur weil wir schwarz sind, ist nicht nur unrealistisch und naiv, sondern zeigt auch, dass die Gesellschaft nicht bereit ist, sich mit Vielfalt auseinanderzusetzen.
Sie selbst definieren sich als schwarze Österreicherin aus Kamerun. Werden Sie denn auch als solche wahrgenommen?
Wichtig ist, wie ich mich selbst wahrnehme und definiere. Dazu brauche ich keine Erlaubnis. Auch wenn manche darüber ihre Köpfe schütteln, fühle ich mich dabei verdammt gut. Ich weiß, wer ich bin, nämlich eine schwarze Österreicherin aus Kamerun. Und wer mit mir zu tun hat, hat das so zu akzeptieren oder mich zu meiden.