Bruch mit den Institutionen
Der Künstler und Filmemacher Oliver Ressler hat AktivistInnen in 15 Städten über den Globus verteilt die Frage gestellt: „Was ist Demokratie?“ Entstanden ist ein Film, der im weltweiten Ausstellungsbetrieb für Aufsehen sorgte. Interview: Andreas Görg
Die Frage „Was ist Demokratie?“ beinhaltet eigentlich zwei Fragen: erstens die Frage nach der dominierenden parlamentarisch repräsentativen Demokratie und zweitens die, wie ein demokratischeres System aussehen könnte. Wie bist du auf die Idee dieser Doppeldeutigkeit gekommen?
Der Begriff „Demokratie“ verweist auf das bestehende Gesellschaftssystem, ist aber auch ein wichtiger Terminus in emanzipatorischen Kämpfen weltweit. Es gibt diesen eklatanten Widerspruch zwischen den westlichen Nationalstaaten, die behaupten, „Demokratie“ umgesetzt zu haben. Zugleich finden sich weltweite Forderungen und Sehnsüchte nach einer radikalen Demokratisierung von unten. Es geht also um die Definitionsmacht von Begriffen. Entlang dieses Grabens entwickelte sich das Projekt „What Is Democracy?“.
Am Film fasziniert, wie er einen offenbar weltumspannenden kritischen Diskurs zur Frage der Demokratie zeigt. Du hast den knapp zweistündigen Film aus über 40 Stunden Videomaterial geschnitten. Gibt es diesen tatsächlich oder findest Du die Diskurse doch eher unterschiedlich und noch unvernetzt?
Der Film zeigt, dass das Wissen um die Probleme der repräsentativen Demokratie und die Wünsche nach anderen Formen von Demokratie an vielen Orten dieser Welt verbreitet ist, dass dieses Wissen quasi demokratisiert ist. Bei Jacques Derrida kommt der Begriff einer „transnationalen Demokratie“ vor, und dieser Gedanke einer weltweiten, überstaatlichen Demokratisierung spiegelt sich zu einem gewissen Grad in der Struktur des Films wider. Initiativen wie die Weltsozialforen haben, glaube ich, schon zur Verbreitung von alternativen Vorstellungen von Demokratie beitragen. Zudem kommen im Film auch zwei Indigenas in den USA und in Australien zu Wort, die sich auf viel ältere Formen der Demokratie beziehen, die von den weißen EinwanderInnen systematisch zerstört wurden. Ich wollte mit diesem Film nie ein Modell einer anderen Art von Demokratie propagieren. Sondern unterschiedlichen Ansätzen eine Plattform geben und auch dem Publikum ermöglichen, seine eigenen Vorstellungen darüber zu erweitern, was Demokratie sein könnte.
Im Mai 2008 hast Du ein Interview mit Nikos Panagos in Thessaloniki aufgezeichnet. Darin sagte er die Weltwirtschaftskrise aufgrund der Probleme am US-amerikanischen Immobilienmarkt voraus.
So überraschend kam diese Krise ja wirklich nicht. Überraschend war eher, dass es so lange gedauert hat. Nikos Panagos benennt aber nicht nur Monate vor der Krise deren konkreten Auslöser, sondern skizziert seine Kritik an der repräsentativen Demokratie auch mit sehr konkreten Vorstellungen, wie eine demokratische Gesellschaft jenseits von Repräsentation und Kapitalismus organisiert werden könnte. Er propagiert das Modell einer „Inclusive Democracy“, einer umfassenden Demokratie. Das ist eine in Räten organisierte direkte Demokratie, in der alle Bereiche des Lebens, selbstverständlich auch die Ökonomie, demokratischen Entscheidungsprozessen unterworfen sind. Ohne eine Demokratisierung der Wirtschaft ist „Demokratie“, die diesen Namen auch wirklich verdient, keinesfalls zu realisieren.
Im letzten Kapitel des Films stellst Du die Frage: „Sollten wir das westliche Demokratiemodell dem Müllhaufen der Geschichte überantworten?“ Was denkst du persönlich?
Ich denke, dass eine radikale Transformation der Gesellschaft notwendig ist, an deren Ende zumindest jene „repräsentative Demokratie“, in der das Kapital besser als die Menschen repräsentiert zu sein scheinen, überwunden werden muss. Während weltweit Banken mit Hunderten Milliarden Euro an Steuergeldern gerettet wurden, wird von den „Repräsentanten“ gleichzeitig behauptet, es gäbe kein Geld, um Armut, Hunger oder Arbeitslosigkeit zu reduzieren oder den dringend notwendigen ökologischen Wandel anzugehen. Diesen lobbyistischen Kapitalparlamentarismus abzuwickeln, könnte auch hier im reichen Europa schon bald ein mehrheitsfähiger Wunsch werden. Spätestens dann, wenn die durch die Rettung der Banken verschuldeten nationalen Haushalte auf Kosten der Allgemeinheit saniert werden.
Wenn du dieses Filmprojekt mit deinem Ausstellungsprojekt „Alternative Ökonomien, Alternative Gesellschaften“ vergleichst: Hast Du den Eindruck, dass das Wissen um Alternativen in aktivistischen Kreisen verbreitet ist und System-Alternativen aktiv verfolgt werden?
Für die Ausstellungsserie „Alternative Ökonomien, Alternative Gesellschaften“ habe ich im Laufe mehrerer Jahre 16 Videos mit ÖkonomInnen und GesellschaftstheoretikerInnen gemacht, die jeweils ein ganz konkretes Modell oder Konzept für eine alternative Ökonomie oder Gesellschaft erarbeitet haben. Es war schon klar, dass eine derart konkrete Formulierung von Alternativen nicht das Ziel von „What Is Democracy?“ sein kann. Grundsätzlich glaube ich, dass die bestehenden Machtverhältnisse derart zu ungunsten linker AktivistInnen gelagert sind, dass sehr viel Energie in die Verteidigung noch bestehender (Frei-)Räume fließt, die dann anderswo fehlt. Andererseits finde ich die Art, wie gegen die G8 oder gegen internationale Finanzinstitutionen mit Blockaden, Gegengipfel und Camps mobilisiert wird, schon extrem beeindruckend. Ich sehe hier durchaus Modelle dafür, wie Menschen in einer horizontalen, nicht-hierarchischen Weise zu Entscheidungen gelangen und manchmal auch gewaltige politische Erfolge erzielen können.
Im Film wird Herbert Marcuse zitiert, wonach wir in einem System der repressiven Toleranz leben, in dem Kritik nur geduldet wird, solange sie ungefährlich ist. Wie steht es um die Kritik in Deinem Film?
Ein Film als ein isoliertes Produkt ist ungefährlich, hat aber ein gewisses Potenzial. Gefährlich werden könnte ein Film, wenn er nicht nur existiert, sondern auch gezeigt wird. Wenn er ein Publikum findet, das den Film nicht nur konsumiert, sondern zum Handeln bewegt. Wenn es gelingt, an bestehende soziale Bewegungen anzudocken und diese den Film für ihre Aktivitäten und Mobilisierungen nutzen. Wenn diese zu einer „Demokratie“ im Sinn von Jacques Rancière führen: zum Bruch mit den herrschenden Institutionen.
Du hast mit dem Film als Installation schon einige teils auch große Ausstellungen bespielt. Wie erlebst du den Umgang des Publikums?
Auf der Biennale de Lyon 2009 war die 8-Kanal-Videoinstallation „What Is Democracy?“ eine der bestbesuchten und wurde auch in zahlreichen Berichten besprochen. In der Regel fielen diese allerdings nicht positiv aus, was mich wenig verwundert, da die Statements der Akteure doch sehr weit links sind. Im zentralen Video der Installation wird unter anderem auch eine französische Nationalfahne abgefackelt, das war für einige KommentatorInnen großer Medien sicherlich wenig erbaulich.
Die 8-Kanal Videoinstallation „What Is Democracy?“ ist seit 12.03.2010 in einer Einzelausstellung im Alexandria Contemporary Arts Forum in Ägypten zu sehen. Der Film ist auf www.ressler.at/de/what_is_democracy_film/ online zu sehen. Das Buch „Alternative Ökonomien, Alternative Gesellschaften“ ist 2008 im Promedia Verlag erschienen.