Der Mutmacher
NGOs hatten bereits kapituliert, der Staudamm im türkischen Ilisu war so gut wie gebaut. Dann brachte Ulrich Eichelmann, ein Naturschützer aus Wien, die monströse Mauer ins Wanken.
Text: Edith Meinhart, Fotos: ECA Watch/Stop Ilisu Kampagne
Am 5. August 2006 reiste der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan nach Ilisu. Dort hatte man für den hohen Besuch alles aufgeboten, was zu einer staatstragenden Inszenierung gehört: überlebensgroße Transparente mit seinem Konterfei, eine begeisterte Gefolgschaft, bewaffnete Soldaten. Als der Regierungschef mit feierlicher Miene zum Spatenstich für den zweitgrößten Staudamm des Landes schritt, musste dem letzten Zweifler klar sein: Hier wird gebaut, Widerstand zwecklos.
Mehr als tausend Kilometer entfernt saß Ulrich Eichelmann an diesem Abend in Wien vor dem Fernseher und sah in der ZiB2 Bilder der Veranstaltung: „Nein, das kann es nicht sein“., dachte er. Der WWF-Experte kannte das Bauvorhaben seit Jahren. Er kannte sogar alle NGOs, die es verhindern hatten wollen. Sie hatten inzwischen geschlossen kapituliert. Der Rest Widerstand, der geblieben war, erschöpfte sich darin, Verbesserungen für die Landschaft und die ansässige Bevölkerung zu erringen.
Der Flussökologe hatte in der Hainburger-Au vor 25 Jahren die Erfahrung gemacht, dass verzweifelter Widerstand sich lohnt. Aussichtsloser als die damalige Anti-Kraftwerksbewegung konnte ein Protest kaum sein. Nun stand Eichelmann der Sinn wieder nach einer „mission impossible“. Und der Ilisu-Staudamm gehörte genau in diese Kategorie. In zwei Etappen sollte er fallen, so der verwegene Plan: Erst musste das europäische Baukonsortium dazu getrieben werden, aus dem Projekt auszusteigen, danach die türkische Regierung.
Alles oder nichts
Der 48jährige Eichelmann ist dafür weit gegangen. Das erste Stück des Wegs legte er allein zurück. Ausnahmslos jeder, dem er von seinem Vorhaben erzählte, wehrte ab: Es sei sinnlos, damit seine Zeit zu vergeuden. „Zu verhindern ist der Staudamm erst dann nicht mehr, wenn er steht.“, pflegte er zu antworten. Noch stand die 1.820 Meter lange, 135 Meter hohe Mauer nicht. Noch war Hasankeyf, das malerisch am Felsufer des Tigris gelegene, antike Städtchen nicht überflutet. Noch waren Tausende Menschen nicht von dort abgesiedelt worden. Und Eichelmann ließ nicht den kleinsten Gedanken daran zu, dass es jemals so weit kommen könnte. Alles oder nichts.
Der Naturschützer hatte wilde Entschlossenheit aufzubieten; doch die meisten Argumente waren auf Seiten der Zweifler: Die Klimadebatte hatte der Wasserkraft weltweit ein unverhofftes Hoch beschert. Ihre LobbyistInnen trommelten die Geschichte von der „sauberen“ Energie. Mit Erfolg: 700 Staudämme sind allein in der Türkei geplant, rund 1.500 werden rund um den Globus hochgezogen und der Antikraftwerksbewegung bleibt nicht viel mehr, als hinterher zu hecheln.
Die Ausgangslage für die Rettung des Tigris-Tals konnte schlechter nicht sein: Das 1,2 Milliarden Euro-Kraftwerk war durchfinanziert. Ein Baukonsortium aus Österreich, Deutschland und der Schweiz hatte einen großen Teil des Auftrags eingeheimst. Die Turbinen sollten von der VA-Tech Hydro, einer Tochter des Grazer Anlagenbauers Andritz, kommen. An dem Bauvorhaben hingen hoch qualifizierte Jobs in Europa und Tausende Arbeitsplätze in der Türkei. Für die Regierung in Ankara war der Ilisu-Staudamm ein Zeichen des Fortschritts. Der Widerstand war regional begrenzt. Im Rest des Landes setzte sich kaum jemand für die bedrohte, mehrheitlich kurdische Bevölkerung ein, oder für die gefährdeten Kulturdenkmäler und Landstriche.
Ulrich Eichelmann stand gegen ein Stauwerk auf, das jährlich 3.800 Gigawatt Strom liefern sollte – ein kleiner Naturschützer aus Österreich, in der Türkei ein Niemand. Doch er verstand etwas vom Kampagnisieren. 1990 war der gebürtige Deutsche nach Wien übersiedelt und hatte als Praktikant beim WWF zu arbeiten begonnen. Dort blieb er bis 2007 als Experte für den Schutz und die Verbesserung der Fließgewässer. Er koordinierte die Kampagne „Natur freikaufen“, für die sich Austro-Popper und der Liebling der Nation, Peter Alexander, einspannen ließen, und schnorrte 80 Millionen Schilling für den Nationalpark Donau-Auen zusammen. Heute darf dort kein Kraftwerk mehr gebaut werden.
Viele leere Kilometer
Und nun also Ilisu. Den Bau zu verhindern, stellte alles in den Schatten, was Eichelmann bisher gemacht hatte. Ein zweites Projekt hatte daneben nicht Platz. „Ich bin überzeugt, dass diese Ausschließlichkeit für den Erfolg wesentlich war.“, sagt er rückblickend. Eichelmann arbeitete an einer losen Plattform namens „Eca watch“ mit, die staatlichen Kontrollbanken auf die Finger sah. Für den Ilisu-Widerstand gründete er nun einen eigenen Verein. „Eca watch Österreich“, das Zwei-Mann-Projekt brauchte vor allem eines dringend: Geld. Doch das war schwierig aufzutreiben: „Wer investiert schon in hoffnungslose Projekte?“
Noch dazu in der Türkei. Eichelmann musste viele leere Kilometer zurücklegen, bis er bei der deutschen Umweltstiftung Manfred Hermsen schließlich finanzkräftige MitstreiterInnen fand. Er argumentierte, europäische Banken und Firmen hinterließen in der Kurdenregion „einen sozialen Fußabdruck“, deshalb gehe dieser Staudamm „uns ganz direkt an“. Kaum waren die Mittel da, begann die Knochenarbeit: MitarbeiterInnen anheuern, Informationen aufbereiten. Eichelmann flog nach Istanbul, um JournalistInnen zu treffen. Fünf Tage lang saß er von früh bis spät mit VertreterInnen türkischer Medien und Auslandskorrespondenten von Al Jazeera bis zur Süddeutschen Zeitung zusammen und erzählte die immer gleiche Geschichte von der drohenden Zerstörung eines Weltkulturerbes.
Ihm war klar, „dass sich nicht nur in Europa, sondern auch in der Türkei selbst die Stimmung gegen das Kraftwerk wenden muss.“ Keine leichte Aufgabe in einem Land mit 73 Millionen EinwohnerInnen, die politische Inszenierungen und wirtschaftliche Interessenslagen mehrheitlich schweigend und widerspruchslos akzeptieren und in einer unterentwickelten Zivilgesellschaft, in der KampagnenleiterInnen kaum zu finden sind. Doch dann traf Eichelmann einen Ex-Greenpeace-Mann, der für die aussichtslose Aufgabe entflammte. Erkut Ertürk nahm die türkische Anti-Ilisu-Kampagne in die Hand.
Das kleine Problem, dass „Uli und Ertürk“ völlig unbekannte Größen waren, schaffte sich von selbst aus der Welt. „Doga Dernegi“, eine Art Naturschutzbund, klopfte bei den beiden an, ob sie die Widerstandsbewegung nicht in seinem Namen und unter seinem Dach organisieren wollten: „Das wollten wir natürlich.“ Und dann kam der 15. Mai 2008, der Durchbruch. Die Aktivisten eröffneten ein Büro vor Ort. Tarkan reiste an. Der junge Popstar, der in der Türkei oder in Berlin mit tief ins Gesicht gezogener Mütze herumgehen muss, um nicht von Fans belagert zu werden, machte es zu seinem Herzensanliegen, die Ilisu-Region zu retten.
Alle Kameras scharten sich um ihn. Und zum ersten Mal blickten alle Medien des Landes auf Hasankeyf. Der Tonfall der Berichte änderte sich. Etwas von dem Glanz des türkischen Pop-Gottes war auf die AktivistInnen gefallen, und es war nun nicht mehr angesagt, sie als TerroristInnen zu diffamieren. Die prominente Rückendeckung zog weitere KünstlerInnen und Persönlichkeiten an. Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und Nationaldichter Yasar Kemal unterzeichneten die Petition „UNESCO Weltkulturerbe für Hasankeyf und das Tigristal“. Die kurdische Sängerin Aynur Dogan schrieb ein Lied für die Anti-Ilisu-Bewegung, der Filmemacher Faith Akin machte einen Videoclip.
Ein „park of hope“
Und dann kam Bianca Jagger. Ulrich Eichelmann hatte eines Tages ihre Telefonnummer gewählt, die er von einem Bürgermeister aus dem Tigristal bekommen hatte. Sie hob ab und sagte mit einer Divenstimme, die ihm wohlige Schauer verursachte, sie sei dabei. In einem „park of hope“ nahe Hasankeyf pflanzte sei ein Mandelbäumchen, umringt von kurdischen Männern, die ihr dabei zusahen. „Sie machte das nicht aus Show, sie hat sich engagiert.“, sagt Eichelmann. Bianca Jagger aktivierte ihre Drähte zu anderen Prominenten, und manchmal rief sie ihn mitten in der Nacht aus New York an, weil ihr etwas eingefallen war.
Ulrich Eichelmann hatte auch ein paar Verbindungen aus alten Tagen. Er stattete Krone-Chef Hans Dichand einen Besuch ab. Die beiden hatten einander kennen gelernt, als sie gegen Hainburg kämpften: Eichelmann als Naturschützer in der Au, der Zeitungsmacher auf publizistischem Feld. „Wollen Sie wieder kämpfen?“, fragte Dichand geradeheraus. Eichelmann antwortete: „Ja, aber dieses Mal ist es etwas richtig Großes.“, Auf Dichand war Verlass. Sein Blatt berichtete nun regelmäßig und in großer Aufmachung über den „Verrat an Kultur und Natur“, den „Skandal-Staudamm“, das mit österreichischen Steuergeldern bezahlte „Zerstörungsprojekt in der Türkei“.
Die Tageszeitungen Standard und Presse zogen mit; immer mehr deutsche Medien, allen voran Spiegel und Süddeutsche Zeitung, stellten sich auf die Seite der Kraftwerksgegner. Im Herbst 2008 lief der Film „Und macht euch die Erde untertan“ in den Kinos an. Über 3.000 Menschen sahen Christoph Walders Dokumentarfilm über den Ilisu-Staudamm. In Österreich, Deutschland und der Schweiz kippte die öffentliche Meinung gegen das Kraftwerk - und langsam, langsam bewegten sich auch die türkischen Medien: „Jeder Journalist, der nach Hasankeyf kam, um selbst zu sehen, welche Schätze dort unter Wasser stehen werden, sah das Projekt danach kritisch“. Zu Beginn hatten die türkischen Medien fast ausnahmslos für den Staudamm geschrieben, „am Schluss hatten wir 90 Prozent auf unserer Seite.“
Türkische Soldaten nahmen die Aktivisten mehrmals fest, behandelten sie aber nie unfreundlich. „Man hat uns wahrscheinlich nicht ganz ernst genommen.“, sagt Eichelmann. Schwieriger war die Lage für jene Kurden vor Ort, die sich offen gegen die Mauer stellten. Diese AktivistInnen schützte nur mediale Aufmerksamkeit aus dem Ausland. Die offizielle Türkei hielt weiter an ihren Ilisu-Plänen fest, brauchte aber die europäischen Partner zur Umsetzung. Sie sollten 450 Millionen Euro, immerhin ein Drittel des Gesamtvolumens finanzieren, ihre Staaten dafür die Haftung übernehmen.
Und dann passierte etwas, das außer Eichelmann anfangs niemand für möglich gehalten hatte: Die europäischen Unternehmen stiegen aus. Ein Ereignis, so „einmalig“ wie Hainburg: „Nie zuvor wurden in der Exportwirschaft bestehende Verträge gekündigt.“ Nun will die EU die Staudammpläne noch einmal unter die Lupe nehmen und appellierte an die Türkei, mit den Bauarbeiten so lange zu warten, bis das Prüfergebnis da ist. Der in Wien lebende Naturschützer Eichelmann fühlt sich – 25 Jahre nach Hainburg – in seiner Rolle als Mutmacher bestätigt: „Die Chance, etwas zu verhindern, gibt es immer.“
Edith Meinhart ist Redakteurin im Nachrichtenmagazin „profil“.