NGO-Building in Kamerun
In der Kleinstadt Obala in Kamerun entstand ein Ausbildungszentrum für Waisenmädchen. Der Verein wirbt für Spenden, ohne die Frauen in Opferrollen zu drängen. Über bürokratische Hürden und Wege aus Armut und Gewalt berichtet Obfrau Viviane Tassi Bela. Text: Viviane Tassi Bela, Bilder: Viviane Tassi Bela, Martin Wassermair
Auf den staubigen Straßen nach Obala zeigen sich Hitze und Luftfeuchtigkeit von ihrer unerbittlichsten Seite. Im Februar ist kaum Wind zu spüren. 25 Reisende drängen in den Kleinbus, darunter viele junge Frauen, die am Markt in Obala Gemüse und Lebensmittel verkaufen wollen. Mit einem Lächeln im Gesicht blicken sie in eine ungewisse Zukunft – und starren dabei ins Leere. Eine unter ihnen wollte immer Geschichte studieren. Die neben ihr hatte den Plan, Lehrerin zu werden, und eine andere wiederum träumte davon, Schneiderin zu werden. Das Leben dieser Frauen hat sich anders entwickelt. Ohne Geld, ohne staatliche Unterstützung, ohne Vitamin-B, vor allem ohne Respekt vor persönlichen Rechten besteht in Kamerun kaum eine Möglichkeit, der Armut zu entkommen. Zwei Euro bringen die jungen Frauen durch den Verkauf von Gemüse nach Hause. "Morgen ist ein anderer Tag", trösten sie sich darüber hinweg.
Recht, nicht Hilfe
Nicht wenige dieser jungen Frauen hatten bereits eine Ausbildung, teils auch ein Studium begonnen. Durch den Tod ihrer Eltern waren sie aber nicht in der Lage, ihre Lehren abzuschließen. Das liegt daran, dass in Kamerun soziale Einrichtungen fehlen, die den Bildungszugang auch für sozial benachteiligte Jugendliche gewährleisten. Deshalb haben wir uns entschlossen, den "Verein Zukunft und Bildung für Waisenkinder" zu gründen. Weil alle Jugendlichen ein Recht auf Bildung und auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Im vergangenen September eröffneten wir in der 30.000 Einwohnerstadt Obala im Süden des Landes ein Ausbildungszentrum, in dem zehn Waisenmädchen das Textilhandwerk erlernen. Sie werden schon bald in der Lage sein, der Spirale aus Armut, Zukunftsangst und Krankheit zu entkommen und somit ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Denn das Recht auf Bildung ist immer noch keine Selbstverständlichkeit, vor allem, weil hier in Kamerun selten über „Rechte“ gesprochen wird. Das Wort wird in erster Linie mit Unruhe und Unsicherheit in Verbindung gebracht.
Im Gespräch meint eines der Mädchen im Bus hinter vorgehaltener Hand: "Alles was ich mir wünsche, ist ein bisschen Hilfe, damit ich wieder studieren kann." Auch sie spricht lieber von Hilfe als von Recht. Medien und Politik, aber auch einige NGOs trugen nachhaltig dazu bei, dass diese Verschiebung in der Wahrnehmung zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Auf den Straßen der so genannten entwickelten Länder stoße ich oft auf Plakate namhafter spendenwerbender Organisationen, die Kinder und auch junge Frauen in einem zumeist miserablen und würdelosen Zustand zeigen. Fast nackt, abgemagert und nicht selten von Fliegen übersät, flehen sie um Hilfe. Diese Bildsprache ist fatal. Die großflächigen Spendenappelle spielen bewusst mit Emotionen, damit großzügige Menschen, die über Rechte wie über ein Privileg verfügen, armen und traurigen Menschen eben Hilfe zuteil werden lassen. Das erweckt das Spendenherz!
Neue Bildsprachen
Dabei gerät schnell in Vergessenheit, dass – dem affichierten Unglück und den schweren Lebensbedingungen zum Trotz – in den Bildern oftmals eine, den Wohlstandsaugen zunehmend entfremdete, andere Form des Glücks zu erkennen ist. Es ist das Glück, noch lachen zu können und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft damit Ausdruck zu verleihen, auch wenn das Morgen immer unsicher bleibt. Wo aber zeigen diese Plakate Mädchen und Jugendliche von ihrer fröhlichen Seite? Ihr starker Wille, der Armut zu entkommen, wird nirgendwo abgebildet. Das Bedürfnis, die eigenen Rechte verwirklicht zu sehen, ist für Marketingstrategien nicht von Interesse.
Hilfe bekommen immer nur die "Armen". Die "Reichen" in den wohlhabenden Regionen der Welt besitzen Rechte. Das ist die Botschaft, die von der Bilderflut letztlich übrig bleibt.
Die Ansprüche unseres Vereins lassen sich nur verwirklichen, wenn wir das nicht aus den Augen verlieren. Alleine die ersten Monate der Spendenwerbung haben gezeigt, dass die globale Krise zwar auch die Wohlstandswelt zunehmend erfasst, aber nicht notwendig die finanziellen Zuwendungen beeinträchtigt. Die öffentliche Förderung muss als weitgehend unzulänglich bezeichnet werden. Wenn Bildungsprojekte wie das Berufsausbildungszentrum für Waisenkinder in Obala (IPROC) etwa bei der ADA (Austrian Development Agency) eine Subventionsmöglichkeit für Mikroprojekte ausfindig machen, folgt auch schnell die Enttäuschung, weil der Förderhöchstbetrag von 5.000 Euro die 80-Prozent-Marke der Gesamtkosten nicht übersteigen darf. Das verfehlt die Erfordernisse derartiger Vorhaben bei weitem. Somit bleiben private Zuwendungen vorerst vorrangig.
Unserer Erfahrung zufolge waren vor allem die persönlichen Gespräche erfolgreich, weil es auf diese Weise am besten gelingt, das Projekt sehr konkret und anschaulich zu machen. Jedes der zehn Mädchen hat einen Namen und eine eigene Biographie, mit dem Ausbildungsbeginn lässt sich an ihrem weiteren Werdegang teilnehmen. Das ermöglicht auch das sehr unmittelbare Einfühlen in die Situation, was wiederum die Herausforderung für alle Vereinsmitglieder mit sich bringt, in der Wahl der Bilder und Symbole sehr sorgfältig zu sein. Ein Beispiel dafür ist der für die Spendenwerbung unverzichtbare Info-Folder, dem viele Stunden der Diskussionen vorangegangen waren. Welche Fotos wählen wir dafür? Wie dosieren wir das Aufkommen der Farben Grün, Rot und Gelb, um Assoziationen zu Kamerun hervorzurufen, aber nicht nationalistisch zu wirken?
Bürokratische Hürden
Schließlich sind da auch noch die Kameruner Behörden, deren Bürokratie unsere lokale Vertretung jedes Mal wieder vor eine unglaubliche Geduldsprobe stellt. Da kann es schon sein, dass man bei einer medizinischen Untersuchung, die in Kamerun für Vereinsgründungen vorgeschrieben ist, einen ganzen Tag auf den Arzt warten muss, der dann ohne jede Untersuchung seine schriftliche Zustimmung erteilt. Und dennoch betrachten wir die Behörden als wichtige Verbündete. Gerade weil der Kampf gegen AIDS eine breite gesellschaftliche Basis erfordert, ist auch bei der Verwirklichung von IPROC (Institut Professionnel Romaine) darauf zu achten, dass die jungen Frauen, die auch im Hinblick auf den Staat in einem paternalistischen Verständnis aufgewachsen sind, nicht durch direkte Konfrontation mit der Administration vor den Kopf gestoßen werden.
Bei IPROC steht nicht allein das Erlernen eines Handwerks im Vordergrund. Das Projekt möchte den Teilnehmerinnen, die bislang ohne Eltern um ihr Überleben kämpfen mussten, über ihre Rechte informieren und ein Solidaritätsnetzwerk schaffen, in dem das erworbene Know-how in Folge auch an andere Waisenmädchen kostenlos weitergegeben wird.
Benachteiligte Mädchen und junge Frauen sollen die bisher erlebte Negativspirale und damit die Ignoranz der Öffentlichkeit durchbrechen können und einen Beruf erlernen, mit dem sie eines Tages ihr Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen. Um die Reihenfolge der Bilder "Rechte für die einen" und "Hilfe für die anderen" umzudrehen, bedarf es noch der tatkräftigen Unterstützung. Spenden und Mitarbeit sind auch beim Verein "Bildung und Zukunft für Waisenkinder" jederzeit erwünscht.
Viviane Tassi Bela ist Obfrau des Vereins Bildung und Zukunft für Waisenkinder
www.education-obala.org
Verein Bildung und Zukunft für Waisenkinder
Erste Bank
BLZ: 20111
Kontonummer: 29122533500