Der unsichtbare Schlossherr
Als Leiter des Bundesasylamtes schreibt Wolfgang Taucher an den Geschichten vieler Menschen mit. Der Ausgang ist dabei
Definitionssache. Text: Nina Witjes
Es erinnert an Franz Kafkas „Das Schloss“: Herr O. aus Nigeria reist nach Österreich. Er sucht hier Asyl, hofft auch auf eine Anstellung. Sein Ansuchen wird abgelehnt. Herr O. hat Mühe, sich in den bürokratischen Mühlen zurechtzufinden. Er hat das Gefühl, sein Überleben liegt nun im Machtbereich eines anonymen Amtes. Hier regieren, so fürchtet er, Männer einen Verwaltungsapparat, statt ihn selbst anzuhören. Das ist Wolfgang Tauchers „Schloss“.
Seit 1996 ist Taucher Direktor des Bundesasylamts. Hier wird in erster Instanz entschieden, ob jemand Flüchtling ist oder nicht. Die von Innenministerin Maria Fekter angestrebte Fremdenrechtsnovelle findet bei Taucher Unterstützung.
Straffällig gewordene Asylwerber sollen künftig abgeschoben werden, noch bevor das Gerichtsverfahren beendet ist. Zudem sollen Folgeanträge, also ein neuerlicher Asylantrag nach einem negativen Bescheid unterbunden werden. Das vom Leiter des Bundesasylamts mitbegründete Qualitätsmanagement des Amtes gilt als Best Practice Modell.
Rationalität des Amtes
Michael Genner, Chef von Asyl in Not, überrascht Tauchers Haltung nicht. Ursprünglich sei Taucher Kandidat der NGOs gewesen, seine Bestellung durch Innenminister Caspar Einem erschien fortschrittlich. Taucher war kein Emporkömmling einer Partei, sondern hatte lange die Asylrechtsabteilung der Caritas geleitet. Er koordinierte das von Caritas und UNHCR gegründete „Rechtsberaterprojekt“, das Asylwerbern kostenlose Rechtsvertretung anbot und er war Mitglied in der Vereinigung kritischer Juristen. Wechselte Taucher die Seiten oder einfach nur den Job? Mit seiner Berufung änderte sich jedenfalls der Umgang mit den ehemaligen KollegInnen. Das freundschaftliche „Du“ wich einem förmlichen „Sie“. Eine Mitarbeiterin der Asylkoordination spricht von der „Rationalität des Amtes“, die sehr schnell gegriffen habe.
Kritik wurde immer öfter abgewürgt, sagt der Grüne Niki Kunrath. Um Gesprächstermine suchen NGOs nur noch selten an, es habe zu viele leere Versprechungen gegeben.
Die Einbindung der NGOs in ein Evaluationsprojekt des Europäischen Flüchtlingsfonds zur Arbeit des Bundesasylamtes torpedierte Taucher offensichtlich erfolgreich. Mittlerweile darf nur noch das Boltzmann Institut für Menschenrechte mitarbeiten. Und die Mitarbeiter des Amtes selbst. Die Begründung: NGOs sind nicht objektiv.
Die Selektion von Asylwerbern hat Taucher schon 2004 optimiert, Basis ist die von ihm konzipierte Erstaufnahmestelle als strikt organisierte „Asylstraße“. Das UNHCR äußerte sich kritisch über den sicherheitspolizeilichen Charakter der Straße und empfahl, statt einer Vielzahl bewaffneter Beamter stärker auf vertrauensbildende Maßnahmen zu setzen. Viele Flüchtlinge, weiß Genner, sind traumatisiert. Ihnen hilft auch die Zeit, doch die gibt es oft nicht.
Viele NGOs holen psychologische Gutachten ein und bringen gegen „Dublin“-Bescheide (Abschiebung in Transitländer) Beschwerden ein. Manchmal steht Gutachten gegen Gutachten. Gibt der Asylgerichtshof der Beschwerde statt, landet der Akt wieder in der ersten Instanz in Wolfgang Tauchers Schloss. „Eigentlich sollte dann endlich das inhaltliche Verfahren beginnen“, sagt Genner, „aber das ist oft nicht der Fall.“ Denn Tauchers Behörde fordert dann ihrerseits Gutachten an. Traumata kommen dort seltener vor. So wechseln die Gutachten von Schreibtisch zu Schreibtisch. Ein Wettlauf mit der Zeit. Gelingt es Österreich nicht, einen Flüchtling innerhalb einer sechsmonatigen Frist loszuwerden, ist es für ihn zuständig. Sonst wird weiter(ab)geschoben. Kafka hat seinen Roman nie zu Ende geschrieben. Taucher schreibt an den Geschichten vieler Menschen mit.