Die Wichtigmacher
Österreich ist klein. Man kennt sich oft seit Kindertagen. So funktionieren die Netzwerke der Macht, die Österreich regieren. Von Robert Misik, Illustration: Petja Dimitrova
Noch vor zwanzig Jahren war der Begriff des Netzwerkes entschieden negativ konnotiert: „Netz“ war eine Metapher für Zwangsstrukturen, aus denen es für das Individuum kein Entrinnen gibt. Wer an Netzwerke dachte, dachte an Sizilien: Mafia, Ränkespiel, Eine-Hand-wäscht-die-andere. Heute ist das Netzwerk eine positive Metapher, mit der wir zunehmend unsere Welt deuten: Netzwerke sind grenzenlos und relativ unhierarchisch wie das Internet; in ihnen gibt es nicht die eine Position des Mächtigen, sondern Machtknoten. Netzwerke sind dynamisch. Starke Bande schwächen sich, schwache lösen sich auf, neue Verknüpfungen bilden sich, neue Maschen werden zu Zentren verknüpft.
Einfluss nehmen statt Befehlen
In Machtnetzen gibt es auch Macht, aber in ihnen gibt es nicht das autoritäre Prinzip von Befehl und Gehorsam, sondern das des Einflusses, der stets aufs Neue geltend gemacht werden muss.
Aber wie ist das in den Netzwerken der Macht? Gewiss, in Machtnetzen wird Einfluss geltend gemacht, nicht befohlen. Man hilft einander, aber bisweilen ist die Hilfe auf Gegenseitigkeit, die hier eingefordert wird, von Erpressung nicht zu unterscheiden. Ob man das Geschehen mit dem unschönen Wort „Korruption“ charakterisieren mag, ist Geschmackssache. Und das Machtnetz hat noch eine entscheidende Eigenart: Es ist, wenn schon nicht im Verborgenen aufgespannt, so doch von einer informellen Undurchsichtigkeit.
Was hier angeschoben wird, entzieht sich beinahe schon definitionsgemäß öffentlicher Kontrolle. Auch soll man die anti-hierarchische Seite des Netzwerkes nicht überbewerten: Wer in horizontalen Machtnetzen Einfluss hat, hat meist in vertikalen Hierarchien viele Leute unter sich, wo er sich als autoritärer Knochen erweist. Man charmiert nach links und rechts und tritt nach unten. Zudem sind auch in informellen Netzwerken manche mächtiger, manche wenige mächtig. Auch wenn es kein Verhältnis von Befehl und Gehorsam gibt, so doch ein Gewusst-Wie: man hat dann eben ein informelles Gespür dafür, wessen Bitte man nicht abzuschlagen wagen sollte.
Intakte Seilschaften
Christian Konrad, Hans Dichand, Ludwig Scharinger, Andreas Treichl, Christoph Leitl – fünf Männer führen die Liste der „100 Mächtigsten in der Wirtschaft“ an, die das Wirtschafsmagazin „trend“ in seiner Juli-Ausgabe veröffentlicht. Erstellt hat die „Netzwerkanalyse“ das Wiener FAS-Institut. Auffällig: vier ÖVP-Leute unter den Top-Fünf, dazu der greise Chef des mächtigen Revolverblattes. Mit Konrad und Scharinger sind zwei Raiffeisenleute an der Spitze.
Macht wird in Österreich in solchen Netzen ausgeübt. Gewiss, das ist überall so. In Diktaturen ohnehin, aber in entwickelten Demokratien ebenso. In letzteren ist die Sache vielleicht nicht so auffällig, Netzwerker können in ihnen auch nicht schalten und walten, weil sie demokratischer Kontrolle ebenso unterliegen wie den kritischen Nachstellungen investigativer Journalisten. Aber zu glauben, in Demokratien würde Machtausübung nur in institutionell geregelter Form vor sich gehen, wäre blauäugig.
Dennoch ist Österreich, verglichen etwa mit den USA oder Deutschland, korporatistisch eher verknöchert: Die Seilschaften sind hier traditionell, die Lager klar, die Grenzen undurchlässig.
Nicht unwichtig bei all dem: Österreich ist klein. Innerhalb der verschiedenen Milieus kennt man sich daher oft schon von Kindesbeinen an und man verliert sich auch kaum aus den Augen, was etwa in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland schon sehr schwierig ist, wo praktisch jeder, der über eine höhere Bildung verfügt, in einer anderen Stadt studiert, als jener, in der er aufgewachsen ist und später dann in wieder einer anderen Stadt arbeitet.
Lobbyisten werden wichtiger
Vor allem die ÖVP ist, schon aufgrund ihrer organisatorischen Struktur, mehr ein Lobbyunternehmen als eine politische Organisation. Wirtschaftsbund und Bauernbund haben die Partei fest in der Hand, dazu hat noch der ÖAAB, der schwarze Arbeitnehmerbund, die Finger im Spiel. Die Raiffeisenorganisation, eine Krake, die über ihre Landwirtschaftsgenossenschaften den ländlichen Raum organisiert und über ihre Banken auch in der gehobenen bürgerlichen Welt großen Einfluss hat, ist in diesem Konglomerat der wichtigste Player. Sie bestimmt entscheidend mit, wer ÖVP-Chef wird, Ex-ORF-Chefin Monika Lindner kam aus diesem Stall, wer in die Chefetage des Kurier einzieht, wird selbstverständlich auch von den Bauernbankern bestimmt. profil-Herausgeber kann auch nur werden, wer das Placet von Raiffeisen-Boss Konrad hat.
Im Weichbild, am Rande der Netzwerke tummeln sich auch schon mal schräge Köpfe. Die haben gelegentlich Einfluss, aber wenig Macht, sind aber wegen ihrer Unorthodoxie Verbinder zu anderen Netzwerken. Bekanntestes Exempel innerhalb der schwarzen Netzwerke ist Böhler-Chef Claus Raidl.
Angedockt, aber auch unabhängig von den traditionellen Netzwerken, entstehen mehr und mehr auch Machtmaschen einflussreicher BeraterInnen, WerberInnen und ConsulterInnen, die de facto Lobbying betreiben und sich selbst wichtig machen.
Während die klassischen Netzwerker ihre unbezweifelte Macht für ihre Interessen einsetzen, müssen diese LobbyistInnen nämlich immer erst ihren Einfluss grell herausstreichen, um ihn für ihre Interessen auszunützen. Deshalb drängen diese sich auch gerne an die Öffentlichkeit. Notorisches Beispiel ist hierfür der sogenannte Kommunikationsexperte Wolfgang Rosam. Leute wie Rosam sind Symptome für einen leisen Strukturwandel des Netzwerkwesens.
Grundsätzlich funktioniert das konservative Netzwerken so: Das Wort mächtiger Wirtschaftslenker zählt viel, sehr viel, und zwar auf jeder politischen Ebene, zudem werden parteinahe ConsulterInnen, WissenschaftlerInnen und MultiplikatorInnen gehätschelt und mit viel Geld überhäuft.
Ein bemerkenswertes Charakteristikum konservativer Milieus ist, dass hier der Wert der Parteiunabhängigkeit nicht sehr viel zählt, sodass das Networking insgesamt effektiver ist, weil es in diesen Kreisen überhaupt nicht als anrüchig gilt. Nehmen wir nur die Publizistik: Während linksliberale Publizisten den Wert der „Unabhängigkeit“ hochhalten und es für sie beruflichen Selbstmord bedeuten würde, in den Geruch übertriebener Parteilichkeit zu geraten, gilt das für konservative Meinungsbildner in ihren Milieus keineswegs. Hier wäre im Gegenteil der Ruf der „Unverlässlichkeit“ tödlich.
Schwaches SPÖ-Netzwerk
Sozialdemokratisches Networking ist aus einer Reihe von Gründen deutlich uneffektiver: Auf wichtige MeinungsbildnerInnen hat dieses Lager praktisch keinen direkten Zugriff. Kritische linksliberale Köpfe kritisieren mit Freude „ihre eigenen Leute“, schon um sich als „Unabhängige“ zu positionieren. Der Kreis ökonomisch Mächtiger im Umfeld der SPÖ ist überschaubar: Brigitte Ederer als Siemens-Chefin, Hannes Androsch, Notenbank-Präsident Ewald Nowotny. Die Verstaatlichte Industrie existiert praktisch nicht mehr, in ihren Resten hat die schwarz-blaue Koalition in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends ihre KonfidentInnen untergebracht. Allenfalls über die Firmengeflechte der Stadt Wien kann die Sozialdemokratie noch politische mit wirtschaftlicher Macht kombinieren. Aber hier kann man kaum von Einfluss wirtschaftlich Mächtiger reden, da die jeweiligen Firmenchefs letztlich nur über geliehene ökonomische Macht verfügen: Meist sind sie ParteigängerInnen, die in der Politik nichts geworden sind.
Ein gewisses Kuriosum der Netzwerkarchitektur Österreichs lässt sich dort ausmachen, wo es noch Reste des alten Proporzsystems gibt: Wo (Unternehmens-)Vorstände zusammenarbeiten, die unterschiedlichen Netzwerken angehören, sind diese auch Scharniere zwischen den Netzwerken. Hier sprießt, wenn man das so nennen mag, der großkoalitionäre Geist noch in seiner herkömmlichen Form.
Was in den verschiedenen Netzwerken angestrebt wird, ist oft gar nicht so leicht zu sagen.
Klar, man betreibt Lobbyismus für vorteilhafte Gesetzgebung, um Posten und um öffentliche Aufträge. Man will sich für Notfälle absichern und verpflichtet sich gegenseitig. CEO X sitzt bei Y im Aufsichtsrat und vice versa. In Subnetzwerken, wie etwa in den eher linksliberalen Netzwerken der KünstlerInnen und „Kulturkreativen“ geht es beispielsweise um Subventionen oder kleine Aufträge. In Netzen politischer Subkultur versucht man am ehesten über Vernetzung Aufmerksamkeit zu generieren.
Man ist aufeinander angewiesen und tut sich gegenseitig nicht weh – so wie in den Netzwerken der ChronikreporterInnen und PolizistInnen. Und in allen Netzwerken, in denen der Mächtigen nicht weniger als in denen am Rande, geht es immer auch um Sozialprestige im Netzwerk selbst: Wer im Netzwerk etwas gilt, der hat Macht.
Wer mehr Leute kennt als die meisten, den umgibt automatisch eine Aura der Wichtigkeit, die sich dann übersetzen lässt. In das, was man mit einem schönen Wort die „geldwerten Vorteile“ nennt.