Korrumptions-Alarm
Freundschaftsdienste und andere Gefälligkeiten
Nicht jeder Sumpf ist gleich ein Korruptionsfall. Wir beleuchten fünf Felder – von der Staatsanwaltschaft bis zum Gesundheitsbereich die allein schon aus demokratiepolitischen Gründen trocken gelegt gehören.
Bilder: Karin Wasner, istock/Steven Robertson
Staatsanwälte kritisiert man nicht Zuweilen stellt die Staatsanwaltschaft ganz leise Verfahren ein, oder sie wird erst spät aktiv. Fehlt hier Kontrolle?
Wenn eine Affäre frisch ist, sind sich alle einig: Jetzt gehört „lückenlos aufgeklärt“. Und doch enden Korruptionsgeschichten – von der FPÖ-Spitzelaffäre bis zu Grassers Homepage – oft mit einer mehr oder weniger geräuschlosen Einstellung.
Sinngemäß heißt es dann, der Staatsanwalt habe „den Stempel drauf gehaut“, weil strafrechtlich „nichts dran gewesen“ sei. Wie ist das möglich? Damit die Verantwortlichen ex obligo bleiben, ist ein feines Zusammenspiel nötig, in dem die AnklägerInnen eine diskrete, aber bedeutsame Rolle spielen. Vorstellen darf man sich das so: Zunächst sind die ErmittlerInnen am Zug. Wie gründlich sie arbeiten bleibt im Dunkeln, weil während eines „laufenden Verfahrens“ jedes noch so winzige Detail zum „Amtsgeheimnis“ wird.
Danach schickt die Polizei einen Bericht an die Staatsanwaltschaft. Ist dieser ausreichend lieblos abgefasst, befinden die AnklägerInnen, die Suppe sei zu dünn, und verzichten auf weitere Ermittlungen. Sollte jemand auf die Idee kommen, bei der Polizei nachzufragen, kann diese auf die „Herren des Verfahrens“ verweisen, also die Staatsanwaltschaft. Der Ball liegt immer bei den anderen. Irgendwann heißt es dann, das Verfahren sei eingestellt. Das „laufende Verfahren“ mutiert zum „abgeschlossenen Verfahren“, sämtliche Details unterliegen auch weiterhin dem Amtsgeheimnis.
Die Rolle der AnklägerInnen wird so gut wie nicht hinterfragt. Selbst wenn – so wie im Fall Meinl, vom Auffliegen des Skandals um Wertpapierrückkäufe bei MEL bis zu den ersten Hausdurchsuchungen – eineinhalb Jahre verstreichen, gilt: StaatsanwältInnen kritisiert man nicht.
Das ist insofern kurios, als sie dem Justizminister oder der Justizministerin unterstehen und ihre Karrieren letztlich vom politischen Wohlverhalten abhängen. Warum sollen ausgerechnet weisungsgebundene AnklägerInnen frei sein von Fehleinschätzungen, Irrtümern und niederen Motiven? In der jüngeren Geschichte haben Staatsanwälte mehrfach bewiesen, wie gekonnt sie politisch brisante Causen weg administrieren. Zum Beispiel die blaue Spitzelaffäre. Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer erklärte 2001, der ins Visier der Fahnder geratene FPÖ-Chef Jörg Haider sei „über jeden Verdacht erhaben“.
Das Ergebnis ist bekannt: Alle Verfahren gegen führende FPÖ-Politiker wurden eingestellt, ohne Zeugenbefragung, ohne Hausdurchsuchungen, ohne Richter. Am Schluss saßen der Aufdecker und Buchautor, Josef Kleindienst, und ein zweiter Polizist alleine auf der Anklagebank. Nach dem gleichen Muster wurden Jahre später die Verdachtsfälle zum Machtmissbrauch im Innenministerium, die von Ex-BKA-Chef Herwig Haidinger aufs Tapet gebracht worden waren, erledigt. Oder 2005 der Skandal um die Homepage von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser: Da ließen sich die FinanzprüferInnen zuerst von BeamtInnen erklären, eine 283.000 Euro-Spende der Industriellenvereinigung sei steuerfrei gewesen.
Mit dem Geld hatte ein Verein zur Förderung der New Economy eine Homepage für Grasser gesponsert, der zu dieser Zeit zufällig Finanzminister und also ihr oberster Chef war. Dann wurde ermittelt, der Staatsanwalt bekam einen Bericht und empfahl sogleich die Einstellung der Causa. Dem schlossen sich die Finanzämter an. Damit waren auf einen Schlag alle Verfahren vom Tisch. Pech, wer da noch Fragen hatte. Der Staatsanwalt wollte sie partout nicht beantworten, „aus Gründen der Amtsverschwiegenheit“.
Die Autorin ist Redakteurin eines auflagenstarken österreichischen Printmediums.
Grenzen der Redlichkeit
Im Sumpf der Finanzwirtschaft wimmelt es nur so von honorigen Herrschaften. Wie schmal der Grat zwischen Korruption und Redlichkeit ist, zeigt sich besonders in der Krise. Dass die Worte „Wirtschaftskriminalität“ und „Börsenschwindel“ in manchen Kreisen schon als Pleonasmen gelten, haben sich gar nicht so wenige AkteurInnen aus der Wirtschaft selbst zuzuschreiben. Zu oft wurden dort in letzter Zeit die Grenzen zur Unrechtmäßigkeit zwar formal beachtet, die Grenzen der Redlichkeit aber übertreten. Es mag kein Unrecht gewesen sein, als etwa ein heimisches Unternehmen mit (damals noch) gutem Namen AnlegerInnen Wertpapiere anbot und dabei den Eindruck erweckte, es handle sich um an der Wiener Börse notierte Aktien, während in Wahrheit Zertifikate auf in einer Steueroase geparkte Unternehmensbeteiligungen begeben wurden.
Auch der renommierte Wirtschaftstreuhänder, der attestierte, diese Papiere seien für die Veranlagung von Mündelgeld geeignet, ist ein ehrenwerter Mann. Speziell, weil er sich mit der nachgestellten Präzisierung „sofern diese Veranlagung im Rahmen eines sinnvollen Portfolio-Mix erfolgt“ absicherte.
Das gilt natürlich auch für jene gut bezahlten Werbe- und MarketingstrategInnen, die daraufhin Kampagnen rund um die Botschaft „mündelsicher“ strickten, in denen der sperrigen Ergänzung leider kaum Raum gewidmet werden konnte. Psychologisch geradezu perfekt konzipiert war etwa jener Werbespot, in dem zehn Prozent Jahresrendite mit den Wertpapieren suggeriert wurde und eine junge Frau ihr gutes, altes Sparschwein darauf als „faules Schwein“ apostrophierte.
Mit vollem Verkaufsdruck konnten die Papiere dann auch deshalb unters Volk gebracht werden, weil man sich dazu so genannter „Wertpapier-Dienstleistungsunternehmen“ bediente. Die brauchen zwar eine Konzession – aber eben nur eine – und dürfen damit im Vertrieb unbegrenzt viele so genannte „Wertpapier-Dienstleistungsassistenten“ einsetzen. Diese wiederum haben zwar keine annährend so qualifizierte Ausbildung wie etwa VermögensberaterInnen, dafür hohe Motivation: einen prozentuellen Anteil der von KundInnen bei ihnen „angelegten“ Beträge als Provision.
Dass dieses System dann mitsamt den Börsenkursen derart einbrechen und die Ersparnisse Tausender Gutgläubiger dezimieren würde, konnte von den Beteiligten – die allesamt gut daran verdient haben – doch keiner ahnen. Gierig – so eine in deren Kreisen nun gängige Analyse – waren nämlich die kleinen AnlegerInnen. Im Wirtschaftssumpf wimmelt es eben nur so von honorigen großen Herrschaften.
Michael Schmid ist Ressortleiter von Management & Karriere im Wirtschaftsmagazin Format.
Wann werden Verlage schwach?
Gibt es Grenzen der Unabhängigkeit für Verlagshäuser? Wie wird etwa über die Bankenkrise berichtet, wenn Banken ein relevantes Anzeigenvolumen im eigenen Medium ausmachen?
Die Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Bei Sonntagsreden wird sie gelobt und hochgehalten. Doch im Alltag sind JournalistInnen zunehmend mit ihrer Aushöhlung konfrontiert. In Österreich werden kritische ReporterInnen glücklicherweise nicht ermordet wie in anderen Ländern.
Aber: JournalistInnen, die gemäß ihrem Berufsverständnis ausgewogen, kritisch und möglichst umfassend berichten wollen, kommen immer öfter unter Druck. Denn die Wirtschaftskrise trifft auch die Medienbranche hart. Zeitungen, Magazine, Radios, Fernsehstationen sind immer abhängiger von Einnahmen aus Inseraten und Werbespots. Zeitungen, die kaum noch Abonnenten haben, die die Zeitung zum Spottpreis verschleudern, brauchen großzügige Inserate um den Laden am Laufen zu halten.
Der Deal: Die Regierung inseriert großflächig, dafür bekommt sie eine positive Berichterstattung. Unangenehme Berichte über bestimmte Minister sind dann völlig tabu. Als JournalistIn kann man brisante Themen immer wieder vorschlagen. Nur man kommt mit dieser Beharrlichkeit nicht mehr weit. Ähnlich ist es bei Werbeeinschaltungen von großen Unternehmen. Wer glaubt, dass ein kritischer Bericht über Pestizide im Gemüse noch möglich ist, wenn eine der betroffenen Lebensmittelketten brav Inserate schaltet, ist naiv.
Die Finanzkrise hat auch in Österreich die Bankriesen in Schwierigkeiten gebracht. Doch recherchiert und berichtet man über die Hand, die einen per Kredit und Inserat füttert? Bestimmte Artikel trotz Inserate zuzulassen war bisher schon eine Gratwanderung für Herausgeber, Geschäftsführer und Chefredaktion, aber die allgemeine Krise hat diesen Zustand noch mal verstärkt.
Es ist oft gar nicht mehr nötig, dass ein Politiker interveniert oder ein Wirtschaftsboss wütend anruft. Immer mehr Medien handeln im vorauseilenden Gehorsam. Für den einzelnen Journalisten wird die Lage durch die steigende Arbeitslosigkeit, die beklemmende Enge der österreichischen Medienlandschaft nicht einfacher. Verweigert einer einen einseitigen Bericht, machen ihn zehn andere zu den geforderten Bedingungen. Die Angst vor Mobbing und Jobverlust ist real und konkret.
Vernachlässigt werden bei dieser Art des Journalismus wichtige Prinzipien wie gründliche Recherche, kritisches Hinterfragen und Hintergrundinformationen. Aber nicht nur: Rückgrat zu zeigen, aufrecht zu gehen und den Mund aufzumachen wird schwieriger. Insofern ist die hoch gelobte Pressefreiheit, die Freiheit, Missstände zu berichten, Bürger in einer Demokratie möglichst umfassend zu informieren, massiv bedrängt.
Der Autor ist Redakteur einer österreichischen Tageszeitung.
Gesundheit – ein gutes Geschäft
Eine „besonders schöne Nase“ kostet 1.500 Euro extra. Ein „schnellerer“ Bypass 3.000 Euro. Das solidarische Gesundheitssystem muss geschützt werden.
Als ich vor etwa zehn Jahren in Moskau war, fiel mir etwas Seltsames auf: An vielen Kreuzungen standen Polizisten, die mit einem Gummiknüppel in der rechten Hand den Verkehr regelten. Die linke Hand hielten sie den AutofahrerInnen hin, die beim Vorbeifahren Geldmünzen hineinlegten. Einheimische erklärten mir, dass die Gehälter der BeamtInnen derzeit so niedrig seien, dass sie das zusätzliche „Körbergeld“ zum Überleben bräuchten. Den Gummiknüppel nannten die Moskauer übrigens „Pozhaluysta (Paschalsta)-Stick“ – soll heißen: „Bitte um eine Spende!“
Manchmal denke ich heute noch an die Moskauer Polizisten. Zum Beispiel dann, wenn mir ein Arzt erzählt, dass seine KollegInnen PatientInnen vor und nach der Operation in ihre Privatpraxen lotsen, wo ihnen recht eigenartige Angebote unterbreitet werden. Wie etwa: Vor- und Nachbetreuung, inklusive Operation mit Implantat und Narkose im öffentlichen Spital um 2.000 Euro. Oder wenn eine Patientin erzählt, für eine „besonders schöne Nase“ 1.500 Euro extra gezahlt zu haben. Oder 3.000 Euro für einen „schnelleren“ Bypass. Ohne Rechnung versteht sich. Der Ausdruck „Kuvertmedizin“ gehört in Österreich zum allgemeinen Wortschatz. Warum wohl?
Aus der Korruptionsforschung weiß man: Je niedriger das Einkommen, umso anfälliger sind Menschen fürs Handaufhalten. SpitalsärztInnen haben gemessen an ihrer Ausbildung und Verantwortung miese Grundgehälter, die sie mit vielen Nachtdiensten und Geldern von PrivatpatientInnen aufbessern können. Wer sich nicht um ein zusätzliches Einkommen bemüht, fühlt sich bald ausgenutzt – vom Dienstgeber, von den KollegInnen und vom System. Dafür werden allerdings dann andere ausgenutzt: PatientInnen, die sich in verzweifelten Situationen befinden und dem Medizinsystem zumeist völlig ausgeliefert sind. Sie muss man schützen.
Schützen muss man auch das solidarische Gesundheitssystem – unter anderem vor der gierigen Ausbeutung durch Einzelne, vor zweifelhaften Marketingmethoden der Pharma- und Medizinprodukte-Industrie, vor Interessenskonflikten von Meinungsbildnern, vor dem Missbrauch öffentlicher Infrastruktur für Privatgeschäfte und vor einer Ausweitung der Mehrklassenmedizin. Kranke Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass sie die bestmögliche Behandlung bekommen und nicht die, an der irgendjemand den größten Gewinn macht. Und wir müssen dafür sorgen, dass das Gesundheitswesen finanzierbar bleibt. Dazu wird jeder Cent gebraucht – und zwar auf dem Konto der Versicherten und nicht in dunklen Kanälen.
Andrea Fried ist Chefredakteurin von „Das österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ“.
Politik der Vergabe
Klientelismus, Parteipatronage... Wie wirkt sich „Vitamin B“ (wie „Beziehungen“) im Feld der Politik in Österreich aus?
Gefälligkeit, Freundschaftsdienste, anfüttern – schöne Begriffe österreichischer Praktiken, die – wenn es um osteuropäische Staaten geht – schlicht Korruption heißen. Das Feld der Politik weist mehrere „sensible“ Bereiche auf: Der Politikwissenschafter Hubert Sickinger etwa hat sich auf die bis heute ungelöste, weil intransparente Parteienfinanzierung spezialisiert. Unternehmen, die gerne „spenden“ wollen, das aber anonym, zahlen z.B. an Industriellenvereinigung oder ÖGB. Diese Organisationen leiten die Gelder weiter, sind von der Meldepflicht beim Rechnungshof ausgenommen.
Ein Gesetz für mehr Transparenz scheitert (woran wohl?) seit Jahren. Oder der Bereich der Vergabe: das finanzielle Geflecht, in das sich Politik, Wirtschaft und Lobbyisten bei der EADS/Eurofighter-Beschaffung verstrickt haben, ist nur ein Beispiel. Transparency International nannte bereits den Vertrag der Republik Österreich und dem Rüstungskonzern „sittenwidrig“.
Zuletzt geriet auch die Vergabepraxis von Wiens Vize-Bürgermeisterin Grete Laska im Fall des zwar nicht ästhetisch, dafür aber finanziell ungemein teuren Prater-Vorplatzes in die Schlagzeilen. Immer wieder werden auch Mehrfachfunktionen von PolitikerInnen problematisiert. Wie verhält sich zum Beispiel die Funktion eines Wirtschaftskammerpräsidenten, der sich –zurecht – für Klimatechnik einsetzt, mit seiner Rolle als Unternehmer, dessen Bauhütte solche Dienste anbietet? Oder kommen einem Wirtschaftsminister, der aufgrund seines Amtes viele internationale Kontakte sammelt, diese auch für das in seinem Besitz befindliche Pharma-Unternehmen zugute?
Gerfried Balzer ist freier Journalist und Publizist in Österreich.
Ein Schein, der trügt
Kann man Journalist sein, ohne einen Presseausweis zu haben? Natürlich kann man das. Ich schreibe seit 2003 für "Die Presse" und habe einen solchen weder gebraucht, um dem Pressefoyer im Bundeskanzleramt beizuwohnen, noch anlässlich diverser Untersuchungsausschüsse Einlass ins Parlamentsgebäude zu finden oder mir vom jeweiligen Hausherrn im Finanzministerium erklären zu lassen, warum sich unsere liebe Republik leider, leider wieder verschulden
muss. Auf dem Gipfel der Welthandelsorganisation in Hongkong brauchte ich ein Bestätigungsschreiben meines Chefredakteurs, dass ich tatsächlich für diese Zeitung arbeite.
Ein Presseausweis war nicht erforderlich - ebenso
wenig, wie ein solcher Zugang zum Jahrestreffen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds in Washington verschafft. Da muss man sich gesondert akkreditieren. Ebenso wie für die Institutionen der EU in Brüssel.
Wozu also braucht man in Österreich einen Presseausweis? Um sich auf allerlei Weisen bestechen lassen zu können.
Vom Gratiseintritt in Bäder und Museen bis zum billigeren Handytarif reicht die Liste der Vergünstigungen,
um die man nicht einmal bitten muss. Presseausweis zücken reicht. Wie viele Inhaber solcher Scheine sich wohl kostenlose Theaterkarten heraus bedingen, den Gratiseintritt in ein Popkonzert oder das wohlwollende Wegschauen eines
Verkehrspolizisten? Ich will es lieber nicht wissen.
Es ist löblich, dass das Kuratorium für Presseausweise, also der Zusammenschluss von Verlegern und Journalisten-verbänden, sich seit einiger Zeit verstärkt darum kümmert, dass nur echte Journalisten den echten Presseausweis erhalten. Das ändert aber nichts daran, dass sich an diesem
Schein, an all den Annehmlichkeiten, die er seinem moralisch biegsamen Inhaber zu verschaffen vermag, die tiefe Verluderung eines großen Teils der Branche manifestiert, in der ich arbeite und die ich liebe. Zur Bestechung gehören schließlich immer zwei: Einer, der besticht. Und einer, der sich bestechen lässt.
Oliver Grimm ist Redakteur der Tageszeitung „Die Presse“.
Steuer-Oasen
Was ist daran paradiesisch? Bischof Herwig Sturm fordert das Ende der Steuer-Oasen. Der Ausdruck Steuer-Oase zeigt sehr bildhaft, worum es dabei geht: In der Wüste der Steuer- Pflichtigkeit, die offenbar alles Lebendige mit ihrem Treibsand zudeckt, gibt es grüne Flecken, ja sogar Wasser. Tiere trinken, Vögel zwitschern, Menschen können auf ihrem Weg durch die Steuer-Wüste nur überleben, wenn sie bisweilen in so einer Oase rasten und dort neuen Vorrat zum Überleben aufnehmen.
Während die SteuerzahlerInnen also den Staub ihrer dummen Rechtschaffenheit schlucken, werden in der Steuer-Oase jene paradiesisch belohnt, die ihr Einkommen und Vermögen „steuer-schonend“ zu behandeln wissen.
Ist es ein Wunder, dass bei einem solchen Weltbild manche MitbürgerInnen die Sozialpflichtigkeit ihres Vermögens vergessen, während sie die Wohltaten des Sozialstaates selbstverständlich konsumieren?
Mich wundert allerdings sehr, dass die politisch Verantwortlichen für die soziale Gestaltung unserer Gesellschaft den Steueroasen und dem süßen Bankgeheimnis so zögerlich zu Leibe rücken. Erliegen auch sie den Verlockungen der Oasen?
Ich hoffe jedenfalls, dass diese sich durch eine klare Gesetzgebung möglichst bald als Fata Morgana erweisen und alle MitbürgerInnen ohne Ausnahmen ihren Beitrag zum Überleben der Karawane und zur Bewahrung einer fruchtbaren Erde wahrhaftig und gerecht leisten werden.
Herwig Sturm ist Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich und ehemaliger Bischof der Evangelischen Kirche.