Straffrei bei “Jedermann”
Angefüttert. Ausgefüttert?
Die Salzburger Festspiele im Visier der Korruptionsbekämpfung. Wieso Ministerialbeamte und nicht Musikstudenten Karten geschenkt bekommen.
Text: Martin Wassermair, Bilder: Clärchen Baus-Mattar&Matthias Baus iStock
Als Eugène Ionesco im Jahre 1972 zur Eröffnungsrede der Salzburger Festspiele auf die Bühne trat, war er entschlossen, sich mit harschen Worten an das feierlich gestimmte Publikum zu richten. "Soll man die Kette der Verbote zerreißen oder sie straffer machen? Man findet das Gleichgewicht nicht mehr zwischen der Leidenschaft zu leben, das heißt zwischen den unstillbaren Begierden und den Mechanismen, die diese Begierden in Bahnen halten könnten."
Es ist nicht überliefert, wie viele der Anwesenden sich in diesem Moment unter ihren Stühlen verkriechen wollten, vielleicht sogar mit plötzlicher Schamesröte im Gesicht. "Nicht den Armen will man helfen", donnerte der Dramatiker des absurden Theaters den Gepeinigten im prunkvollen Saal entgegen, "nicht Gerechtigkeit verteidigen und Hunger und Durst stillen, sondern Ziel ist die Alternative: Herrschaft über die Welt oder Blutbad".
Vorteilsbeschaffung
Von einem Blutbad ist bei den sommerlichen Festspielen auch Jahrzehnte später nichts zu sehen. Nur die Gier nach Ruhm und Einfluss lässt sich am Tummelplatz der Eitelkeiten so regelmäßig blicken, wie der alljährliche Auftritt der Buhlschaft in Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" vor dem Salzburger Dom. Noch 1950 glaubte auch Bertold Brecht daran, dass sich die nach zwei Weltkriegen und den Erfahrungen des NS-Gewaltregimes so dringend gebotene Erneuerung von Politik und Gesellschaft in der Festspielstadt regelrecht antizipieren ließe. Ein fataler Irrglaube, wie auch Brecht sehr bald zur Kenntnis nehmen musste. Er kehrte Salzburg sehr früh den Rücken.
Bei den Festspielen war und ist man an Umbruch und Diskontinuitäten wenig interessiert. Und auch die Kunst nimmt eine zunehmend untergeordnete Stellung ein. Wichtiger ist dagegen, im Scheinwerferlicht als glanzvolle Figur der High Society wahrgenommen zu werden, an pompösen Banketts und Empfängen teilzunehmen, mit den Reichen und Mächtigen der Welt zu kokettieren – und sich manchmal auch den einen oder anderen Vorteil zu verschaffen.
Da kommt es nicht selten vor, dass zahlreiche Gäste, darunter viele Beamtinnen und Beamte in ranghohen Positionen, mit den vornehmsten Tickets Platz nehmen dürfen, die ihnen zumeist von jenen Unternehmen großzügig zur Verfügung gestellt werden, die den Salzburger Festspielen als Partner im Rahmen eines Spnsoring-Abkommens zur Seite stehen. Dieser Vorgang wird gemeinhin als "Anfüttern" bezeichnet, die juristische Auslegung spricht von der "kleinen" Korruption. Ein Grund also, dass nun auch die Salzburger Festspiele in das Visier der Justizbehörden geraten sind.
Supergau für Salzburg?
Dazu ein kurzer Rückblick: Zu Beginn des Jahres 2008 wurde in Österreich ein neues Gesetz beschlossen, das sich dem verstärkten Kampf gegen die Korruption verschrieben hat. 2007 war das Land auf dem Wahrnehmungsindex von Transparancy International auf Platz 15 zurück gefallen, da wollte dann niemand ganz tatenlos zur Tagesordnung übergehen. Ein wesentlicher Bestandteil der Novellierung zielte daher schon bald darauf ab, den lockeren Umgang mit Geschenken an Personen zu unterbinden, die ein öffentliches Amt innehaben. Deren Spektrum ist weit reichend und umfasst neben Verwaltung vor allem auch das große Feld von Politik, Interessenvertretungen und dem Management staatsnaher Betriebe. Wer auch immer eine Zuwendung über der Geringfügigkeitsgrenze von 100 Euro annimmt, muss – so die neue Regelung – mit der Aufmerksamkeit der Staatsanwaltschaft rechnen.
In der Folge blieb es lange Zeit ruhig. Das Gesetz war verabschiedet, von deren Tragweite nahm zunächst kaum jemand Notiz. Dann allerdings folgte auf die Fußball-Europameisterschaft auch das Großereignis der Festspiele in der Mozartstadt. Helga Rabl-Stadler sah als Präsidentin mit besten Kontakten zu Wirtschaftslobbies und Regierungskreisen die Kultur sogleich ganz allgemein gefährdet, sollte die generöse Haltung der privaten Financiers strafrechtliche Konsequenzen haben.
Vom "Supergau in der Kulturfinanzierung" war selbst in einer vermeintlich seriösen Fachzeitschrift zu lesen. Hat es sich mit dem vorläufigen Aus des "Anfütterns" tatsächlich ein für allemal ausgefüttert? Die in der Folge breit angelegte Mobilmachung in Medien und Politkreisen erwies sich als lohnendes Unterfangen. Schon kurz nach den Nationalratswahlen gelang es der ÖVP, im Koalitionsübereinkommen mit der SPÖ eine Aufweichung herbeizuführen. Kurzum: Das Anfüttern wird nicht mehr angetastet. "Der Wirtschaftsprüfer", schrieb daraufhin etwa Werner Doralt, Professor für Finanzrecht, in einem bissigen Presse-Kommentar, "soll den Beamten aus dem Finanzministerium weiterhin straffrei zu den Salzburger Festspielen einladen können, und er wird wohl wissen, warum er dem Ministerialbeamten und nicht einem Musikstudenten die Karte schenkt".
Kultur profitiert nicht
Damit fühlt er dem Problem punktgenau auf den Zahn. Eine Kulturveranstaltung, die sich als Umschlagplatz von Freunderlwirtschaft und unsauberen Geschenkannahmen einen Namen macht, wird selbst zum Instrument der Korruption. Dass sich die Politik hier nicht entschieden dagegen stellt, sondern einen Status quo fortschreibt, von dem aus ihren eigenen Reihen nicht wenige profitieren, ist ein erbärmliches Zeugnis der politischen Kultur. Für die Kunst, sollte daran noch jemandem gelegen sein, ist das Anfüttern jedenfalls nicht von Nutzen. Doch mit dem Ende der Kulturpolitik ist in Österreich auch die Diskussion um Produktionsbedingungen vorbei.
Wertvoll ist, was für die Wirtschaft Wert erzielt. Der Rest begnügt sich mit Public Management. Vielleicht hatte es Eugène Ionesco schon 1972 voraus geahnt. "Alles ist erschöpft und steht ohne Schutz da. In den Büchern oder den Blicken unserer Mitmenschen spiegelt sich unsere eigene Zerrüttung wider. Ein Wort, und die Massen stürzen aufeinander los oder begehen Selbstmord. Ein Funken genügt, und der Weltbrand ist ausgelöst." Ob die Salzburger Festspiele eines Tages in den Flammen ihrer eigenen Verwerflichkeit untergehen, wird noch etwas abzuwarten sein.
Martin Wassermair ist Historiker und Mitglied im Vorstand des Kulturrat Österreich.
www.wassermair.net