Gewalten-Teilung in Rot-Weiß-Rot
Gewalten-Teilung in Rot-Weiß-Rot Rückständig und böse zu Frauen sind immer nur die Anderen. Man selber kann dann ja nur mehr eines sein: ein Hort des Fortschritts und der Gleichberechtigung. Oder? Text: Edith Meinhart, Bild: Bernhard Kummer
Es war 1992. Erich Lehner unterrichtete an einer Krankenpflegerschule. In seiner Klasse saßen Menschen aus 25 verschiedenen Nationen. Eines Tages kam eine Schülerin zu ihm und sagte, ihr Bruder trachte ihr nach dem Leben, sie habe entsetzliche Angst. Der Klassenvorstand schaffte es irgendwie, die Lage zu entschärfen. Niemand redete damals von Ehrenmorden.
Fünfzehn Jahre später ist das Thema nicht nur in aller Munde, es gibt sogar eine neue Punze für das, was Zuwanderergruppen ihren schwächsten Mitgliedern im Namen von Ehre und Tradition antun. Zwangsehen, Genitalverstümmelung und Ehrenmorde gelten als "traditionsbedingte Gewalt" - nicht bloß als Nötigungen, Körperverletzungen oder Verbrechen gegen Leib und Leben.
Es stimmt, dass die Frauenhäuser voll sind mit Migrantinnen. Dass jeden Sommer eine unbekannte Zahl von Gastarbeiter-Nachkommen in ihre alte Heimat fahren und als Verlobte zurückkommen. Vermutlich stimmt auch, dass nicht nur in Afrika Mädchen und Frauen Opfer von brutalen Genitalbeschneidungen werden, sondern auch mitten in Europa. Und doch: Warum diese Unterscheidung in "traditionsbedingte" Gewalt und "normale"?
Die ehemalige Frauenministerin Maria Rauch-Kallat hatte im Frühjahr 2006 den österreichischen EU-Vorsitz dafür genützt, das Thema auf die europäische Agenda zu setzen. Sie lag damit im Trend. 1999 hatte der Lebensbericht des somalischen Topmodels Waris Dirie ("Wüstenblume") eine Lawine an Bekenntnisliteratur, Ratgebern, Schicksalberichten sowie staatlichem und zivilgesellschaftlichem Engagement losgetreten. Die Bücher der Frauenrechtlerinnen Ayaan Hirsi Ali und Necla Kelek über die Lage muslimischer Frauen erreichten ein Millionenpublikum. Was davon vor allem hängen blieb, war die Botschaft, wie rückständig und frauenfeindlich die Mischung aus Tradition, Kultur und Islam ist.
Rechtspopulistische Parteien schlossen sich dem Urteil an – allen voran die FPÖ, die sich bald als eine Art Befreiungsbewegung für die unterdrückte, muslimische Frau gerierte. Das Thema eignete sich wie kaum ein zweites, sich von "den Anderen" abzugrenzen und die eigene Überlegenheit zu belegen: Böse zu ihren Frauen sind nur die Türken oder Tschetschenen oder eine andere zugewanderte Gruppe. Man selbst kann dann nur mehr ein Hort des Fortschritts und der Gleichberechtigung sein.
Alles ganz normal
Das Schwarzweißbild hat einen Nachteil. Es ist ziemlich falsch. Österreich hat im EU-Vergleich ein besonders widerständiges Patriarchat. Frauen verdienen laut eines Rechnungshofberichts um 40 Prozent weniger als Männer. In kaum einem anderen Land geht die Lohnschere weiter auseinander. Je höher der Frauenanteil in einem Beruf, umso niedriger die Entlohnung. Die Ausrede Kinderkriegen zählt nicht. Doppelstudien zeigen, dass selbst bei gleicher Ausbildung Männer und Frauen schon bei der Einstellung unterschiedlich eingestuft werden. Es wird hingenommen – so wie Diskussionsrunden im Fernsehen, die oft aus Männerrunden bestehen oder Uni-Rektorate, Aufsichtsräte und Vorstandsetagen, die, soweit das Auge reicht, in der Hand von Männern sind. Die Mehrzahl der Bevölkerung hält es für "normal", dass sie im Land das Sagen haben, genauso wie bei Feldmissionen der UNO, der EU oder OSZE.
Generationen heimischer LiteratInnen haben sich an den Erscheinungsformen des Patriarchats abgearbeitet. Es ist immer noch wohlauf. Man erkennt es nur nicht so rasch, wie beim arabischen Familiendespoten, der seine Frau ein paar Schritte hinter sich hergehen lässt. Es lag im Interesse von Staaten, die Macht von den Familien, wo die Väter herrschten, in die öffentliche Sphäre zu bringen. Heute würde kaum noch eine Institution sich als frauenfreie Veranstaltung deklarieren. Das ist auch nicht nötig. Die Gesetze des Emporkommens sorgen ohnedies zuverlässig dafür, dass es an den Spitzen der Hierarchien genau darauf hinausläuft. "Das Patriarchat hat sich bloß anonymisiert.", sagt Erich Lehner, der heute als Männer- und Geschlechterforscher am Ludwig Boltzmann-Institut arbeitet. Anders als das Böse bei Bert Brecht, habe es nun keinen Namen, kein Gesicht und keine Anschrift mehr.
Erlaubnis für Jobwechsel
Fast scheint es, als hätten die ÖsterreicherInnen vergessen, dass es noch nicht sehr lange her ist, dass man vom Bregenzer- bis zum Neusiedlersee mit den Fingern auf ledige Mütter zeigte. Die Kirche redete in alle Bereiche hinein und schrieb den Menschen vor, wie sie zu denken, zu essen und sich zu kleiden hatten. Eine verheiratete Frau brauchte bis zur Familienrechtsreform 1975 die Erlaubnis ihres Ehemannes, wenn sie den Wohnort wechseln, eine Arbeitsstelle annehmen oder die Kinder in ihren Pass eintragen lassen wollte. Gewalt in der Familie galt als Privatsache, aus der sich der Staat herauszuhalten hatte.
ExpertInnen schätzen, dass ein Viertel bis ein Fünftel der Frauen hierzulande Opfer von Gewalt in der Familie. Es dauerte Jahrzehnte, bis das Problem wahrgenommen wurde. Vergewaltigung in der Ehe wurde erst 1989 zu einer Straftat, seit 2004 wird das Delikt von Amts wegen verfolgt - und nicht mehr nur auf ausdrücklichen Wunsch des Opfers. 90 Prozent der Gewalttaten im Familienkreis werden übrigens von Männern begangen; die Täter kommen aus allen Schichten und Milieus.
Vor dem Gesetz sind Männer und Frauen gleich gestellt. Eine Debatte, die sich ausschließlich um die patriarchalen Kulturen der Zugewanderten dreht und die eigene Frauenfeindlichkeit ausblendet, könnte dazu verleiten zu glauben, diese Gleichheit wäre in der Praxis schon eingelöst. Davon sind wir weit entfernt.
Traditionelles Privatleben
Als es noch zu wenige Akademikerinnen gab, galt es als ausgemacht, dass man eben keine Frauen finde, die für ganz oben "gut genug" seien. Inzwischen gibt es an den Universitäten mehr Studentinnen als Studenten. Doch wenn sie ihre Karrieren antreten, stellen sie fest, dass ihnen Diplome wenig nützen. Wichtige Entscheidungen in der Arbeitswelt fallen beim halbprivaten Biertrinken, wenn sie nicht dabei sind. Man könnte diese Usance abstellen. Doch es fehlt am Willen, wie man am Beispiel der Universitäten sieht. Professorinnen sind dort nach wie vor in der Minderheit. Noch heute erzählen Gleichbehandlungsbeauftragte, wie der frühere SPÖ-Wissenschaftsminister Caspar Einem die Reichsfürstentümer aufbrechen wollte, indem er von jedem Dreiervorschlag des Personalsenats die Frau aussuchte. Die Folge: Bald schafften es Frauen nicht einmal mehr auf einen Dreiervorschlag.
Auch im Privatleben von Herrn und Frau Österreich geht es noch recht traditionell zu. Zwar gebe es deutlich mehr Paare als früher, die ihre Beziehung partnerschaftlich anlegen, aber in vielen Familien müssten "heute noch alle ‚Habt Acht!’ stehen, wenn der Papa am Abend nach Hause kommt.", sagt Lehner. Ein Wiener Polizist, der "sicher hunderte Male" bei Streits im Familienkreis ausgerückt ist, berichtet von Männern, die sich "aufs Dümmste und Unmenschlichste" dafür rechtfertigen, dass sie ihre Frau geschlagen haben. Etwa: "Wie würden Sie reagieren, wenn sie Ihnen ein kaltes Essen herstellt?" Ähnliches erzählt der Leiter einer Therapiegruppe für gewalttätige Männer. Gefragt, ob man das Recht habe, seine Frau zu misshandeln, wenn sie ihn betrogen habe, sage die Mehrheit: Ja. "Die Männer fühlen sich als Opfer, bagatellisieren ihre Taten, wollen keine Verantwortung übernehmen."
Das Gros der österreichischen Männer ist die meiste Zeit in Männerwelten unterwegs. "Für sie geht es um die Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Gewalt weist in der Gruppe den Platz zu.", sagt Lehner. Die Debatte, wie man von dieser kampfbetonten Männlichkeit wegkommt – hin zu einer sozialen -, hat noch nicht einmal begonnen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird immer noch als Frauenthema abgehandelt.
Dabei zeigen jüngere Untersuchungen, dass 40 Prozent der Männer sich vorstellen könnten, in Karenz zu gehen. Und die Praxis? Nicht einmal vier Prozent der Kinderbetreuungsgeldbezieher sind Männer. Lehner: "In Österreich, aber auch in Deutschland, herrscht eben noch immer das Familienernährer-Modell vor."
Entschleierung des Westens
"Wie zivilisiert eine Gesellschaft ist, bemisst sich daran, welchen Raum die Frauen darin einnehmen.", soll der frühere französische Premierminister Jacques Chirac gesagt haben. Wer das ernst nimmt, gerät schnell auf dünnes Eis. Bettina Mathes und Christina von Braun erforschen in ihrem Buch "Verschleierte Wirklichkeit" die Geschlechterordnung und ihre Auswirkungen im Christentum, Judentum und Islam. Auch der Westen habe seine "Entschleierung" gehabt, schreiben sie. Doch befreite sie die Frauen von alten Rollenklischees, ebnete sie den Weg zur Gleichheit?
In den USA lassen sich junge Frauen ihre Nase oder ihre Brüste mit dem Skalpell an gängige Schönheitsnormen anpassen, um ihre Chancen im Leben zu erhöhen. Nimmt ihnen das ihre Individualität – genauso wie ein Schleier? Und wie unterscheiden sich Brustimplantate, Designer-Vaginas und Genitalverstümmelung unter ethischen Gesichtspunkten? Alle diese Praktiken bergen gesundheitliche Risiken und dienen letztlich der Kontrolle des weiblichen Körpers. Das Argument, Schönheitsoperationen seien freiwillig und Genitalverstümmelungen erzwungen, stimmt nicht in allen Fällen:
In rückständigen Stammesgesellschaften ebenso wie im liberalen Westen entscheiden sich Frauen unter sozialem Druck für etwas, das ihnen selbst schaden kann.
Mit Kopftuch und Red Bull
Das heißt nicht, dass der Westen wegschauen soll, wenn muslimische Frauen unterdrückt werden. Kritik muss erlaubt sein. Wer nicht Gefahr laufen will, Minderheiten zu stigmatisieren, sollte bei sich selbst aber ebenso kritisch sein wie bei "den Anderen". Umso mehr, als Muslime ohnedies unter einem Generalverdacht stehen. Zum Beispiel die Kopftuch-Debatte: Wie passt da der Iran ins Bild, wo Frauen nur verhüllt auf die Straße gehen dürfen? An den dortigen Universitäten studieren weitaus mehr Frauen als Männer.
Wer ein Kopftuch trägt, muss nicht automatisch zurückgeblieben oder unterdrückt sein. Ein Wiener Unternehmensberater hat diese Lektion bereits gelernt. Vor einer Weile suchte er einen neuen Mitarbeiter. Er dachte an ein dynamisches, männliches IT-Genie. Es bewarb sich eine junge Muslimin mit Kopftuch. Er war irritiert. Sie war eindeutig die Beste. Also hat er sie eingestellt. Jeden Tag in der Früh, wenn sie ins Büro kommt, geht sie auf den Balkon, raucht eine Zigarette und trinkt eine Dose Red Bull. Dann setzt sie sich an den Computer und beginnt zu arbeiten.
Edith Meinhart ist Redakteurin des Wochenmagazins "profil".